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Recht  →  Miet- & Zivilrecht


Wegen coronabedingten Beschränkungen des Mietgebrauchs Mietminderung für Gewerberäume
LG München beruft sich vor allem auf Entscheidungen des Reichsgerichts
22.12.2020 (GE 22/2020, S. 1460) Führen öffentlich-rechtliche Maßnahmen durch Allgemeinverfügungen und Infektionsschutzmaßnahmeverordnungen zu Einschränkungen des Mietgebrauchs, kann ein zur Minderung berechtigender Mangel vorliegen, meint, anders als die Landgerichte in Frankfurt und Mannheim (vgl. Anmerkung Seite 1459), das Landgericht München I.
Der Fall: Die Klägerin (Vermieterin) verlangt von der Beklagten Mietzahlungen für die Monate April, Mai und Juni 2020 für eine 2.929 m2 große Einzelhandelsfläche, auf der die Beklagte einen Möbelmarkt betreibt. Die Beklagte sieht für den Zeitraum von Beschränkungen infolge der Corona-Epidemie die Mietzahlungspflicht auf bis zu 100 % gemindert, im Übrigen sei die Geschäftsgrundlage gestört. Durch die behördlichen Einschränkungen des Freistaates Bayern wurde der Beklagten die Öffnung ihrer Ladenfläche in der Zeit vom 18. März 2020 bis zum 26. April 2020 vollständig untersagt. Seit dem 27. April 2020 bis zum 10. Mai 2020 ist der Beklagten der Betrieb nur eingeschränkt auf einer Fläche von 800 m2 im Erdgeschoss und teilweise im Untergeschoß möglich gewesen. Ferner musste die Beklagte ein umfangreiches Abstands- und Hygienekonzept einhalten, wobei in dem Ladengeschäft nur maximal der Aufenthalt eines Kunden je 20 m2 Verkaufsfläche zulässig ist. Diese Beschränkung der Kundenanwesenheit gilt auch seit dem 11. Mai 2020 fort, während die Verkaufsflächenbeschränkung weggefallen ist.
Die Beklagte hat die Miete um 100 % gekürzt, die Klägerin verlangt Miete für April Mai und Juni 2020 i.H.v. jeweils 73.866,48 €. Das LG gab der Klage nur in Höhe von rund 118.000 € statt und sprach der Beklagten das Recht zu, die Miete teilweise zu mindern.

Das Urteil: Es sei anerkannt, dass aufgrund Verbots der Öffnung von Verkaufsstellen für den Einzelhandel oder des Gastgewerbes ein Mangel im Sinne von § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB vorliegen kann, weil die Tauglichkeit der Mieträume für den vertragsgemäßen Gebrauch aufgehoben oder gemindert ist. Dies habe schon das Reichsgericht in vier Entscheidungen bestätigt. Auch in der jetzt aufkommenden Literatur gebe es starke Stimmen, welche vorrangig das Mietminderungsrecht zur Lösung von coronabedingten Konflikten von Mietparteien heranziehen. Im Übrigen sei anerkannt, dass öffentlich-rechtliche Beschränkungen als rechtliche Verhältnisse einen Mangel darstellen können, wenn sie sich auf Beschaffenheit, Benutzbarkeit oder Lage der Sache beziehen, wobei es auf den vereinbarten Geschäftszweck ankomme und die Beschränkung grundsätzlich bestehen müsse.
Das LG München I sieht die coronabedingten Beschränkungen der Mietsache als Mietmangel im Sinne von § 536 BGB an. Soweit nach dem Mietvertrag die Mieterin verpflichtet sei, auf ihr Risiko alle weiteren etwaigen für ihren Betrieb erforderlichen behördlichen Genehmigungen einzuholen und aufrechtzuerhalten, könnten damit nur baurechtliche oder ggf. arbeitsrechtliche Genehmigungen gemeint sein, denn die Parteien hätten sich sicherlich zur Zeit des Abschlusses des Mietvertrags keine Gedanken um Nutzungseinschränkungen in der Innenstadt wegen seuchenrechtlicher Maßnahmen gemacht. Damit treffe die behördliche Einschränkung die vertragsgemäß vorausgesetzte Nutzungsmöglichkeit der Mietsache selbst, da ein Ladengeschäft für hochwertige Möbel betrieben werden sollte. An diesem Mietzweck muss sich auch die Vermieterin festhalten lassen. Damit unterscheide sich die Situation auch grundsätzlich von der Situation einer Gaststätte, die von durch Volksentscheid herbeigeführter Bayerischer Rauchverbotsregelung betroffen sei. Eine Gaststätte könne nämlich weiterbetrieben werden, wobei durch Unterlassen von Rauchen ein stärkerer Kunden-, Gäste- wie auch insbesondere Arbeitsschutz für Bedienungen und Mitarbeiter zu erwarten sei.
Da ein Mietmangel vorliege, müsse eine Minderung ausgeurteilt werden. Es sei eine angemessene Herabsetzung proportional zur Tauglichkeitsminderung durch Schätzung eines prozentualen Abschlags vorzunehmen, bei erheblicher Minderfläche entsprechend der prozentualen Flächenabweichung. Bei gewerblichen Räumen sei primär auf die Störung der Betriebsausübung abzustellen, wobei bei einer periodischen Störung die Minderung nur mit dem Zeitraum der Störung eintrete.
Für April 2020 urteilte das Gericht eine Minderung von 80 % aus, für Mai eine von 50 % und für Juni noch 15 %. Eine Störung der Geschäftsgrundlage sei auch gegeben, doch erscheine die Anwendung der Mängelhaftungsregelungen vorrangig.

Anmerkung: Das LG zitiert zur Begründung ausschließlich alte Entscheidungen des Reichsgerichts (RG) aus der Zeit des Ersten Weltkrieges. Zwar wurden auch damals ähnliche öffentlich-rechtliche Einschränkungen verhängt, doch tragen die zitierten Entscheidungen des RG die Urteilsbegründung nicht. Allen RG-Urteilen ist gemeinsam, dass Vertragszweck bzw. Vertragsinhalt jeweils eine bestimmte Nutzungsmöglichkeit war. Entweder war eine Einrichtung (Tanzlokal) schon bei Überlassung vorhanden und Zweck der Überlassung, oder es lagen bestimmte, sich aus polizeilichen Erlaubnissen (Nachtbar) bzw. aus den äußeren Umständen (örtliche Lage des Ladens inmitten des alljährlichen Insel-Badebetriebes auf Borkum) ergebende Bedingungen vor. Die damaligen Verbote betrafen direkt die in den Verträgen vorausgesetzten äußeren Bedingungen für den Betrieb des gepachteten bzw. gemieteten Gegenstandes, sodass zum einen der Verpächter die vorgesehene „Fruchtziehung“ nicht mehr gewährleisten konnte, zum anderen aber die vom Vermieter zur Vermietung herangezogenen und vorausgesetzten äußeren Umstände des Badebetriebes wegen des verhängten Badeverbotes nicht mehr gegeben waren. Nach Ansicht des RG haben die damaligen Verbote in die Vermieter- bzw. Verpächtersphäre eingegriffen, weil die Pachtsache bzw. Mietsache vom Verpächter bzw. Vermieter gerade nicht für die vertraglich vorgesehene Nutzung zur Verfügung gestellt werden konnten. Dies scheint in dem vom LG München entschiedenen Fall aber nicht so gewesen zu sein, weil dort wohl „nackte“ Räume vermietet wurden, auch wenn der Mieter dort ein Möbelgeschäft betreiben wollte und betrieb. Der mögliche Betrieb eines Möbelgeschäftes war also nicht von besonderen äußeren Umständen abhängig, die auch nicht Voraussetzung für den Abschluss des Mietvertrages waren.

Den Wortlaut finden Sie in GE 2020, Seite 1493 und in unserer Datenbank. 


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