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Recht  →  Miet- & Zivilrecht


Erneute Verfahrensaussetzung und neue Vorlage wegen Verfassungswidrigkeit des Mietendeckels
67. Zivilkammer des Landgerichts Berlin legt noch einmal nach und vor
09.09.2020 (GE 16/2020, S. 1024) Die Mietberufungskammer 67 des Landgerichts Berlin bleibt bei ihrer Auffassung (vgl. LG Berlin GE 2020, 468), dass der Berliner Mietendeckel verfassungswidrig ist und sieht sich in ihrer Haltung durch die Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs (GE 2020, 981) zur Unzulässigkeit eines Volksbegehrens für einen bayerischen „Mietenstopp“ bestätigt. Die Kammer setzt erneut ein Verfahren über die Zustimmung zu einer Mieterhöhung auf die ortsübliche Vergleichsmiete nach § 558 BGB aus und legt die Sache erneut und mit noch umfangreicherer Begründung dem Bundesverfassungsgericht vor. Dem muss eigentlich jeden Tag deutlicher werden, dass eine Entscheidung zum Berliner Mietendeckel die Dringlichkeitsstufe 1 hat.
Der Fall: Der klagende Vermieter verlangte mit einem den Beklagten am selben Tage zugestellten Mieterhöhungsverlangen vom 9. August 2019 Zustimmung zur Erhöhung der Nettokaltmiete auf eine zwischen den Parteien unstreitige ortsübliche Vergleichsmiete von 515,78 € mit Wirkung ab dem 1. November 2019. Das AG gab der Zustimmungsklage statt. Die Berufung der Beklagten führte zur Verfahrensaussetzung und zur Vorlage an das Bundesverfassungsgericht.

Der Beschluss: Der Rechtsstreit sei auszusetzen, da § 3 MietenWoG Bln verfassungswidrig und für die mit der Berufung verfolgte Klageabweisung entscheidungserheblich sei. Es käme auf die Frage, ob § 3 MietenWoG Bln verfassungswidrig oder verfassungskonform sei, nur dann nicht an, wenn
■ die Vorschrift im Zivilprozess nicht zu berücksichtigen oder
■ im vorliegenden Fall in zeitlicher Hinsicht noch nicht anzuwenden wäre,
■ Art. 31 GG (Bundesrecht bricht Landesrecht) die landesrechtlichen Regelungen der MietenWoG Bln ohnehin verdrängen
■ oder das zu beurteilende Erhöhungsverlangen den einfachrechtlichen Voraussetzungen der Mieterhöhungsvorschriften (§§ 558 ff. BGB) nicht genügen würde.
An alldem fehle es. Zeitlich sei der Anwendungsrahmen eröffnet, das Mieterhöhungsverlangen stamme vom 9. August und die Erhöhung sollte zum 1. November 2020 wirksam werden. Nach § 3 MietenWoG Bln sei aber eine Miete verboten, die die am 18. Juni 2019 wirksam vereinbarte Miete überschreitet. Die Bestandsmiete zum Stichtag 18. Juni 2019 sei damit „eingefroren“. Der Landesgesetzgeber habe sich im MietenWoG Bln für eine unechte Rückwirkung entschieden, die die zulässige Höhe der Miete nach einem Zeitpunkt bestimme, der vor dem Inkrafttreten des Gesetzes liegt. Ein Vermieter könne sich damit auf eine ihm günstige Stichtagsmiete allenfalls dann mit Erfolg berufen, wenn er bis zum 18. Juni 2019 entweder eine einheitliche vertragliche Vereinbarung in Höhe der nach dem Inkrafttreten des MietenWoG Bln geforderten Miete getroffen (1), der Mieter bis zum 18. Juni 2019 einem Erhöhungsverlangen des Vermieters freiwillig zugestimmt (2), ein bis zum 18. Juni 2019 rechtskräftig gewordenes Urteil die Zustimmung des Mieters ersetzt (3) oder der Vermieter dem Mieter das Erhöhungsverlangen jedenfalls bis zum gesetzlichen Stichtag zugestellt habe (4).
§ 3 MietenWoG Bln entfalte Rückwirkung und sei auch im Zivilprozess (Mieterhöhungsprozess) zu beachten. Eine Gesetzesauslegung, die § 3 Abs. 1 MietenWoG nur außerhalb des Zivilrechts und des Zivilprozesses Rechtswirkungen zubillige, würde nach Ansicht der Kammer nicht nur „den eindeutigen Gesetzeswortlaut, sondern auch die ebenso eindeutige Gesetzesbegründung auf unzulässige Weise in ihr genaues Gegenteil verkehren“ und widerspräche zudem der Gesetzessystematik. Denn der Landesgesetzgeber habe die zivilrechtlichen Folgen einer unter Verstoß gegen § 3 Abs. 1 MietenWoG außergerichtlich vereinbarten oder auf dem Zivilrechtsweg durchgesetzten Erhöhung des Mietzinses über die Stichtagsmiete hinaus an keiner Stelle geregelt oder in der Gesetzesbegründung auch nur erwähnt. Das allerdings wäre zu erwarten gewesen, wenn er dem Wortlaut und der Begründung des Gesetzes zuwider hätte anordnen wollen, dass es Vermietern trotz „Mietenstopps“ und „Einfrierens“ der Mieten auch weiterhin gestattet sein sollte, den Mietzins wie zuvor gemäß §§ 558 ff. BGB auf dem Privatrechtsweg zu erhöhen. Der Landesgesetzgeber habe stattdessen in § 3 Abs. 4 Satz 1 MietenWoG Bln angeordnet, dass sich die Stichtagsmiete ab dem 1. Januar 2022 jährlich um den Prozentsatz der seit dem Stichtag eingetretenen Inflation, höchstens jedoch um 1,3 %, erhöhen dürfe, und zwar durch formal sich an den Regelungen der §§ 558 ff. BGB
orientierenden Mieterhöhung, aber begrenzt durch maximal 1,3 %. Daraus folge im Umkehrschluss, dass Mieterhöhungsverlangen auf dem Zivilrechtsweg erstmals wieder und nur dann mit Erfolg durchgesetzt werden könnten, wenn sie eine Erhöhung des Mietzinses nach dem 31. Dezember 2021 zum Gegenstand habe und der verlangte Mietzins nicht über die festgeschriebenen Höchstwerte hinausgehe.
Damit erteilt die ZK 67 des Landgerichts dem Versuch der ZK 65, den Mietendeckel durch eine vermittelnde Auslegung – Mieterhöhungen nach BGB zulässig wie bisher, aber Begrenzung der Zahlungspflicht des Mieters auf das nach dem Mietendeckel Zulässige (vgl. Seite 1020 und 1057) – verfassungskonform auszulegen, eine unmissverständliche Absage.
Nach erneut und vertiefend vertretener Ansicht der ZK 67 ist der Berliner Mietendeckel verfassungswidrig, weil dem Land die Gesetzgebungskompetenz fehlt. Die Regelungen im BGB zu den Mieterhöhungen wie auch zur Mietpreisbremse unterfallen dem Kompetenztitel des Bürgerlichen Rechts. Der Bund hat seine auf diesem Gebiet bestehende konkurrierende Gesetzgebung auch abschließend ausgeübt. Eine bundesgesetzliche Regelung ist dann als abschließend einzustufen, wenn sie einen Sachbereich umfassend und lückenlos regelt oder nach dem aus der Gesetzgebungsgeschichte ablesbaren Willen des Gesetzgebers abschließend regeln soll. Berlin habe bei der Schaffung des Mietendeckels die Gebote bundesstaatlicher Rücksichtnahme und der Widerspruchsfreiheit von Bundes- und Landesrecht nicht beachtet. Sie setzten der Kompetenzausübung der Länder Schranken, indem sie es den Ländern untersagen, konzeptionelle Entscheidungen des Bundesgesetzgebers durch landesgesetzliche Einzelentscheidung zu verfälschen.

Den Wortlaut finden Sie in GE 2020, Seite 1053 und in unserer Datenbank.


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