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Recht  →  Miet- & Zivilrecht


Wurde teuer: Anbringung eines Fassadentransparents
Gebührenstreitwert mit 500 € nicht annähernd richtig bewertet
12.08.2019 (GE 14/2019, S. 887) Die Beschwer des Vermieters richtet sich nach dem Wertverlust, den er durch die Beeinträchtigung der Substanz und/oder des optischen Gesamteindrucks seines Hauses erleidet. Zudem ist bei der Bemessung der durch die Eigentumsstörung verursachten Beschwer des Vermieters zu berücksichtigen, ob der Text des Transparents den Eindruck erwecken kann, der Vermieter missachte Mieterinteressen.
Der Fall: Die Kläger mieteten 2011 eine Wohnung im 1. Obergeschoss eines Hauses in Berlin. Im Erdgeschoss befand sich ein sog. Kiezladen. 2015 kündigte der Rechtsvorgänger der Beklagten das Mietverhältnis mit dem Betreiber des Kiezladens. Daraufhin hängten die Kläger und andere Mieter Transparente an der Außenfassade auf, um sich mit den Belangen des Kiezladens zu solidarisieren. Die Kläger brachten ein 4 m breites und 1,50 m hohes Transparent mit Schnüren am straßenseitigen Balkon der von ihnen gemieteten Wohnung an. Im Juni 2016 erwarb die Beklagte – eine in Luxemburg ansässige Kapitalgesellschaft – die Immobilie. Sie erwirkte einen Räumungstitel gegen den Betreiber des Kiezladens. Nach der Räumung forderte die Beklagte die Kläger auf, das Transparent zu entfernen. Dem kamen die Kläger nach. Sie begehrten nunmehr, das Transparent erneut anbringen zu dürfen. Das Amtsgericht gab der Klage statt und setzte den Gebührenstreitwert auf 500 € fest. Gegen das Urteil legte die Beklagte Berufung ein. Das Landgericht Berlin, ZK 65, verwarf die Berufung als unzulässig und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, der erforderliche Wert des Beschwerdegegenstands von mehr als 600 € sei nicht erreicht. Unstreitig wäre die Bausubstanz des Hauses nicht beschädigt. Zudem habe die Beklagte die Immobilie bereits mit Fassadenaufschriften sowie mit dem Transparent der Kläger erworben. Damit habe sie das Risiko übernommen, die Immobilie nicht ohne Weiteres oder nur mit einem geringeren Gewinn weiterveräußern zu können. Hiergegen wendete sich der Beklagte mit der Rechtsbeschwerde.

Der Beschluss: Der VIII. Senat des BGH hob die Entscheidung des Berufungsgerichts auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung in die Instanz zurück. Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wurde auf 2.000 € festgesetzt.
Die Rechtsbeschwerde sei zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordere. Die Entscheidung, die Berufungssumme sei nicht erreicht und die Berufung deshalb als unzulässig zu verwerfen, verletze die Beklagte in ihrem – auch ausländischen juristischen Personen zustehenden – Verfahrensgrundrecht auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip), der es den Gerichten verbiete, den Beteiligten den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren.
Die Rechtsbeschwerde sei auch begründet. Dem Berufungsgericht falle ein Fehler insofern zur Last, weil es bei der Bemessung der Beschwer der Beklagten in sachwidriger Weise darauf abgestellt habe, die Eigentumsstörung, deren Beseitigung die Beklagte mit ihrem Rechtsmittel erstrebe, habe schon im Zeitpunkt des Grundstückserwerbs bestanden. Werde der Vermieter einer Wohnung verurteilt, die Anbringung eines Transparents, Plakats oder Banners durch den Mieter an der Fassade des Hauses zu dulden, richte sich die Beschwerde des Vermieters nach dem Wertverlust, den er durch die Beeinträchtigung der Substanz und/oder des optischen Gesamteindrucks seines Hauses erleide. Zwar werde im gegebenen Fall die Substanz des Hauses nicht beeinträchtigt. Jedoch habe das Berufungsgericht verkannt, dass durch das großflächige und auffällig an der straßenseitigen Fassade angebrachte Transparent eine schwerwiegende optische Beeinträchtigung bewirkt werde, die bereits für sich genommen mit einem Betrag deutlich über dem Beschwerdewert von 600 € zu bewerten sei. Zudem könne der Text des Transparents den Eindruck erwecken, der Grundstückseigentümer missachte Mieterinteressen; auch dies könne bei der Bemessung der durch die Eigentumsstörung verursachten Beschwer nicht unberücksichtigt bleiben. Die Begründung des Berufungsgerichts, die Beschwer der Beklagten durch die erstinstanzliche Verurteilung zur Duldung des Transparents sei deshalb als gering zu bewerten, weil es schon im Zeitpunkt des Grundstückserwerbs durch die Beklagte an der Fassade befestigt gewesen sei, sei bereits im Ansatz nicht nachvollziehbar. Denn die Bemessung der Beschwer eines Rechtsmittelführers durch das angefochtene Urteil habe rein nach seinem Rechtsschutzziel zu erfolgen; materiell-rechtliche Gesichtspunkte hätten insoweit außer Betracht zu bleiben.

Den Wortlaut finden Sie in GE 2019, Seite 912 und in unserer Datenbank.


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