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Recht  →  Miet- & Zivilrecht


Keine Berücksichtigung der nach Fristablauf erkannten Härtegründe
Widerspruch gegen Kündigung
02.08.2019 (GE 13/2019, S. 831) Die „Sozialklausel“ berechtigt den Mieter zum Widerspruch gegen ordentliche Kündigungen des Vermieters, nach der noch im ersten Termin des Räumungsrechtsstreits Widerspruch erklärt werden kann, wenn der Vermieter keinen Hinweis auf das Widerspruchsrecht erteilt hat. Sind die Widerspruchsgründe erst danach bekannt geworden, finden sie keine Berücksichtigung.
Der Fall: Mit einem Schreiben vom 20. Juli 2017 kündigte die Klägerin ohne Hinweis auf das Widerspruchsrecht nach § 574 BGB das Mietverhältnis mit dem Beklagten fristlos, hilfsweise ordentlich zum 30. April 2018 wegen eines dreimonatigen Zahlungsrückstands sowie eines Vorfalls in der Wohnung des Beklagten am 7. Juli 2017. An diesem Tag hatte der Rauchwarnmelder Alarm gegeben; Mitbewohner des Hauses stellten fest, dass alle Herdplatten und der Backofen auf höchster Stufe in Betrieb waren und ein zerbrochener Teller mit Essen auf dem Herd stand. Im Zahlungs- und Räumungsrechtsstreit erklärten die Parteien in der mündlichen Verhandlung vor dem AG am 10. November 2017 wg. inzwischen erfolgter Mietzahlungen insoweit übereinstimmend Hauptsachenerledigung; Widerspruch gegen die Kündigung erhob der Beklagte im Termin nicht. Das AG hielt die fristlose Kündigung wg. des Vorfalls vom 7. Juli 2017 für begründet und verurteilte zur Herausgabe. Im Berufungsverfahren bestritt der Beklagte die Kündigungsgründe und erhob Widerspruch gegen die Kündigung, der ihm vor dem AG nicht möglich gewesen sei, weil er, was erst nach dem AG-Termin erkannt worden sei, an einer paranoiden Schizophrenie und einer schweren Depression mit psychotischen Symptomen leide.

Das Urteil: Das Landgericht Itzehoe wies die Berufung des Beklagten zurück. Zwar sei eine fristlose Kündigung unwirksam gewesen, weil es sich um einen einmaligen Vorfall gehandelt habe, der eine Abmahnung vorausgesetzt hätte. Insgesamt sei jedoch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung im Hinblick auf diesen Vorfall und die – später ausgeglichenen – Zahlungsrückstände berechtigt gewesen. Der Widerspruch des Beklagten sei nicht zu berücksichtigen, weil er erst nach dem Verhandlungstermin vor dem Amtsgericht erklärt worden sei. Die Regelung in § 574 Abs. 3 BGB, wonach berechtigte Interessen des Vermieters für die Kündigung auch nach dem Zeitpunkt des Kündigungsschreibens berücksichtigt werden können, sei für das Widerspruchsrecht des Mieters mangels einer planwidrigen Regelungslücke nicht entsprechend anwendbar; auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand scheide aus, weil das Gesetz das Widerspruchsrecht des Mieters zugunsten der Dispositionsfreiheit des Vermieters auf den festgelegten Zeitraum beschränke. Aus Gründen der Rechtsklarheit mute das Gesetz dem Mieter wohl zu, einen Widerspruch vorausschauend zu erklären und Härtegründe notfalls nachzuschieben.

Anmerkung: Weil die Frage der Zulassung nachträglich entstandener Härtegründe in der Literatur unterschiedlich beantwortet wird, hat das Landgericht die Revision zugelassen, die aber nicht eingelegt worden ist. Was den vorsorglich zu erhebenden Widerspruch angeht, dürfte man wohl einen psychisch erkrankten Menschen hierauf nicht verweisen können: Wer rechnet denn bei Erhalt einer Kündigung damit, an einer paranoiden Schizophrenie zu leiden?

Den Wortlaut finden Sie in GE 2019, Seite 858 und in unserer Datenbank.
Autor: Hans-Jürgen Bieber


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