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Feststellung der Vergleichsmiete (nicht) nur mit Mietspiegel
Einwendungen ist nachzugehen
04.08.2023 (GE 13/2023, S. 629) Ob und wann der Berliner Mietspiegel allein als Schätzungsgrundlage für die Feststellung der ortsüblichen Vergleichsmiete ausreicht, ist umstritten. Manchmal ist auch ein Sachverständigengutachten erforderlich (LG Berlin GE 2023, 596). Nimmt das Gericht jedoch substantiierte Einwendungen rechtlicher und tatsächlicher Art gegen den einschlägigen Mietspiegel nicht zur Kenntnis, statt ein kosten- und zeitaufwendiges Sachverständigengutachten einzuholen, ist der verfassungsrechtliche Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt, so der Berliner Verfassungsgerichtshof in einer brandneuen Entscheidung.
Der Fall: Der Mieter hatte im Rahmen einer vereinbarten Staffelmiete einen Verstoß gegen die Mietpreisbremse gerügt; das Amtsgericht stellte fest, dass die ortsübliche Vergleichsmiete, wie sie sich aus dem Mietspiegel 2019 ergebe, um mehr als 10 % überschritten worden sei. Im Berufungsverfahren vor der ZK 66 des Landgerichts Berlin verwies der Vermieter auf den Wohnungsmarktbericht der Investitionsbank Berlin (IBB) und auf einen Aufsatz von zwei Professoren für angewandte Statistik, wonach die teuren Mieten in Kreuzberg im Mietspiegel nicht abgebildet seien, da sie zu den 25 % aus dem Mietspiegel entfernten Werten gehörten, für die der Mietspiegel selbst die Einholung eines Sachverständigengutachtens verlange. Deshalb müsse ein Sachverständigengutachten eingeholt werden. Das Landgericht Berlin verwies darauf, dass der Berliner Mietspiegel 2019 als Schätzungsgrundlage wegen des umfangreich erhobenen Datenmaterials grundsätzlich besser geeignet sei als ein Sachverständigengutachten und wies durch Beschluss die Berufung zurück; die Revision wurde nicht zugelassen.

Der Beschluss: Auf die Verfassungsbeschwerde des Vermieters hob der Berliner Verfassungsgerichtshof den Beschluss der 66. Kammer auf und verwies die Sache an das Landgericht Berlin zurück.
Die substantiierten Einwendungen des Vermieters gegen den Mietspiegel dürften nicht von vornherein außer Acht gelassen werden, und das Gericht dürfe nicht mit „alten Formeln“ darüber hinweggehen. Es müsse sich vielmehr mit dem Vortrag in seiner Begründung auseinandersetzen; die bloße Kenntnisnahme durch das Gericht reiche nicht aus. Zwar könne es sein, dass der Vermieter die Zweckbestimmung des Vergleichsmietensystems nicht ausreichend beachte. Daraus folgt jedoch nicht, dass der gesamte Vortrag des Vermieters schon im Ansatz nicht geeignet sei, die Aussagekraft des Mietspiegels zu schwächen. Da das Landgericht in keiner Weise auf die vom Vermieter vorgetragenen Aspekte eingegangen sei, liege ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör vor.

Anmerkung: Ähnlich auch der Aufsatz von Rendtel, Sebastian, Frink „Ist der Berliner Mietspiegel 2019 qualifiziert?“ in Stadtforschung und Statistik: Zeitschrift des Verbandes Deutscher Städtestatistiker, 34 (2021) S. 72. Auch wenn die Gerichte in der Regel den Mietspiegel als Schätzungsgrundlage zur Feststellung der ortsüblichen Vergleichsmiete heranziehen, müssen sie substantiierten Einwendungen nachgehen. Das kann zu einem aufwendigen (und teuren) Sachverständigengutachten führen, wenn der Gutachter den Mietspiegel und dessen Beweiswert überprüfen soll (vgl. GE 2014, 763). Die Parteien sollten sich in einem solchen Fall darauf beschränken, ein (wesentlich günstigeres) Sachverständigengutachten schlicht über die Höhe der ortsüblichen Vergleichsmiete zu beantragen. Rudolf Beuermann

Den Wortlaut finden Sie in GE 2022, Seite 647 und in unserer Datenbank.


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