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Notstandsgesetze
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12.04.2020 (GE 7/2020, S. 418) Götz Aly, ein Nachfahre des als „Beutetürke“ an den Hofe des Kurfürsten Friedrich III. von Brandenburg verschlagenen königlich-preußischen Kammertürken Friedrich Aly, der sich nach einer wilden Zeit in der Studentenbewegung (Mitglied in den „Sozialistischen Arbeitskollektiven“, Mitbegründer und Redakteur der Rote-Zellen-West-Berlin-Zeitung Hochschulkampf), als Aktivist beim Überfall auf ein Seminar des Politikwissenschaftlers Prof. Alexander Schwan dabei, heute ein hochangesehener liberaler Historiker, Politwissenschaftler und Journalist (seine Kolumnen in der Berliner Zeitung sind so ziemlich der einzige Grund, warum ich dieses Blatt auch noch lese), der nach eigenen Worten heute seine Schwierigkeiten hat, „den eigenen Töchtern und Söhnen zu erklären, was einen damals trieb“, hat in einer seiner letzten Kolumnen einen sehr nachdenklichen Vergleich zwischen Corona-Krise und der Machtübernahme durch Adolf Hitler gezogen.
1933 – drei Jahre Weltwirtschaftskrise, mehr als sechs Millionen Arbeitslose, durchschnittlich 25 % geringere Löhne, Menschen, die auf die Straße gesetzt wurden, weil sie ihre Miete nicht bezahlen konnten und den Gashahn aufdrehten – „und was macht die Regierung Hitler sofort?“ fragt Aly. Die Antwort: Sie schränkt Grundrechte ein und erzielt ihre Erfolge „mit Methoden, die auch wir derzeit zur Krisenbewältigung richtig finden“. Hunderttausende rechtskräftige Pfändungs- und Räumungstitel habe die NS-Regierung damals gestoppt und Hermann Göring habe erklärt: „Der Hauseigentümer, der unbarmherzig und skrupellos arme Volksgenossen um Nichtigkeiten willen obdachlos macht, hat den Schutz des Staates in diesem seinem Treiben verwirkt.“ Ab Kriegsbeginn (1939) habe bei Familien, die Soldaten stellten, nichts mehr gepfändet oder die Wohnung gekündigt werden dürfen. Ja selbst der jetzt diskutierte Vorschlag, den „Helden des Corona-Alltags“ steuer- und abgabenfreie Zulagen zu bezahlen, sei eine Erfindung der Nazis nach dem Frankreichfeldzug, als die Zulagen für Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit – bis heute übrigens – von Steuern und Sozialabgaben befreit wurden. Vor allem aber hätten sich die Nazis zur Krisenüberwindung hemmungsloser Staatsverschuldung bedient, was über kurz oder lang nur die Auswege Krieg oder Staatsbankrott gelassen habe. Eine zum Nachdenken anregende Geschichtsstunde des Historikers Götz Aly, der nicht nur zu den besten Kennern des Dritten Reichs gehört, sondern auch zu den leisen, ganz und gar nicht zu Übertreibungen neigenden Mahnern. Karl Marx hat einmal geschrieben (Karl Marx/Friedrich Engels – Werke, Band 8, „Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte“, S. 115): „Hegel bemerkte irgendwo, dass alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen, hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce.“ Ich habe den Satz nie für richtig gehalten. Der Homo Sapiens hat sich in hunderttausenden von Jahren nicht wirklich verändert, sein dünner Film aus Zivilisation und Konventionen reißt, in Grenz- und Krisensituationen, täglich millionenfach. Geschichte wiederholt sich ständig. Das einzige, was uns vor unkontrollierbaren Entwicklungen schützt, ist unser Recht. Das sollten wir uns nicht deformieren und demolieren lassen, auch nicht mit der Begründung „Krisenbewältigung“. Was jetzt so auf die Schnelle zusammengebastelt wurde, hätte man nicht (alles) gebraucht. Das Gebot schonender Rechtsausübung, das wir der bona fides des römischen Rechts verdanken, und das in unserem Zivilrecht als Generalklausel in § 242 BGB (Treu und Glauben) verankert ist, wäre tragfähig genug, eine auf coronabedingten Zahlungsverzug gestützte Kündigung zu Fall zu bringen. § 313 BGB (Störung der Geschäftsgrundlage) und § 314 BGB (Kündigung von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem Grund) bieten für Gewerbemieter und Vermieter doch Rahmen genug, sich als redlich und anständig Handelnde zu erweisen. Da muss man doch nicht mit der kompletten – rechtlich ganz und gar unzulässigen – Einstellung der Mietzahlungen drohen, wie das der Discounter tedi, der Sportartikelhersteller Adidas (2 Milliarden € Überschuss in 2019), der Billigschuhvertreiber Deichmann oder der Klamottendiscounter H & M getan haben. „Unanständig und nicht akzeptabel“ hat das Bundesjustizministerin Christine Lambrecht genannt – recht hat sie. Wenn sich jeder selbst der Nächste ist, wenn Marktmacht sich außerhalb der Rechtsordnung stellt, wenn der kleine Mann Konserven, Klopapier und Desinfektionsmittel hamstert, die auch die Deckenbelastung neuer Gebäude an die Grenzen bringt, sind wir nicht mehr weit weg vom Ruf nach dem starken Mann. Krisen sind Chancen, sagt man. Ich finde, die Mieterfunktionäre haben sie nicht genutzt. Statt mit den Immobilienverbänden das Gespräch zu suchen – sicher nicht einfach, hat man sie bisher doch als „Miethaie“ bezeichnet –, haben sich die Mieterorganisationen darin gefallen, Verschärfungen der Notstandsgesetzgebung zu fordern. Das ist schon ein wenig erbärmlich.
Autor: Dieter Blümmel


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