Grundeigentum-Verlag GmbH
grundeigentum-verlag
Verlag für private und unternehmerische Immobilien
Anzeige

Archiv / Suche


Fernfahrerbeherbergung keine Wohnnutzung
Ob eine Wohnnutzung gegeben ist, richtet sich primär nach objektiven Kriterien
14.04.2020 (GE 7/2020, S. 434) Bei der räumlich beengten Unterbringung von Fernfahrern eines Unternehmens in einem Gebäude mit einer Gemeinschaftsküche, einem Aufenthaltsraum und Gemeinschaftsbädern in Mehrbettzimmern, deren Belegung einem ständigen Wechsel unterzogen ist, handelt es sich nicht um eine Wohnnutzung. Vielmehr spricht vieles dafür, dass eine derartige Nutzung als Beherbergung einzustufen ist, die durch eine genehmigte Wohnnutzung nicht mehr gedeckt ist.
Der Fall: Die Antragstellerin ist Eigentümerin eines in einem allgemeinen Wohngebiet nach § 4 BauNVO gelegenen Grundstücks, auf dem sich zum Zeitpunkt der Entscheidung ein genehmigtes Wohngebäude mit 67 gemeldeten Personen befand. Auf dem Briefkasten waren 64 Namen aufgeführt. Im Keller befanden sich zwei Zimmer, die mit sechs bzw. sieben Personen belegt waren, sowie ein Bad. Im EG befanden sich zudem eine Küche, ein Aufenthaltsraum sowie ein Bad mit WC. Zwei Zimmer im OG waren mit jeweils zwei Personen und ein Zimmer mit vier Personen belegt. Auch im OG war ein Bad vorhanden. Im DG existierten zwei weitere Zimmer, von denen eins mit einer Person belegt war.
Mit Verfügung vom 27. November 2018 untersagte die zuständige Behörde ab sofort die Nutzung der Räume im Keller und im DG als Aufenthaltsräume. Zudem wurde der Antragstellerin unter der Androhung von Zwangsgeld untersagt, das Erd- und Obergeschoss als „Arbeitnehmerwohnheim“ zu nutzen. Die vorliegende Art der Nutzung war nach Ansicht der Behörde nicht durch die genehmigte Wohnnutzung gedeckt.
Gegen diese Verfügung erhob die Antragstellerin Widerspruch. Sie teilte mit, dass die Nutzung des Kellers und des DG als Aufenthaltsräume vorläufig eingestellt worden sei. Gegen das Nutzungsverbot für die Räume im EG und OG als „Arbeiterwohnheim“ erstrebte die Antragstellerin einstweiligen Rechtsschutz. Mit Beschluss vom 20. März 2019 wies das Verwaltungsgericht den Eilantrag auf Fortsetzung der Nutzung des Erd- und Obergeschosses als Arbeitnehmerwohnheim zurück. Dagegen Beschwerde.

Der Beschluss: Der Hessische Verwaltungsgerichtshof wies die Beschwerde der Antragstellerin zurück. Der einstweilige Rechtsschutz gegen die Nutzungsuntersagung blieb damit im Ergebnis erfolglos.
Nach Auffassung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes war die Nutzung des Erdgeschosses sowie des Obergeschosses des Wohnhauses formell baurechtswidrig. Dies beruhe darauf, dass die gewählte Form der Arbeitnehmerunterbringung keine „Wohnnutzung“ darstellt.
Auch wenn Erd- und Obergeschoss des Gebäudes der Antragstellerin die für eine Wohnnutzung erforderlichen Mindestanforderungen aufweisen, lasse die konkrete Ausgestaltung (insbesondere die Schlafräume) nicht die für eine Wohnnutzung erforderliche Eigengestaltung der Haushaltsführung erkennen. Das Gericht vertritt vielmehr die Auffassung, dass die gewählte Ausstattung gar nicht zur Erfüllung der Wohnbedürfnisse führen soll, da die Nutzung auf einen ständig wechselnden Personenkreis ausgelegt ist. Dafür spreche insbesondere die massive Belegung der Schlafräume. Für Arbeitnehmer, die nicht in familiärer Beziehung stehen, böten diese Räume keinerlei Privatsphäre, die eine Möglichkeit zur Eigengestaltung des häuslichen Wirkungskreises eröffnet. Dies werde auch durch die im Wesentlichen mit Etagenbetten möblierten Schlafräume deutlich.
Auch die Angaben der Antragstellerin selbst sprächen für einen wechselnden Personenkreis. Danach wohne die überwiegende Zahl der in dem Objekt gemeldeten Personen nicht dort. Es handele sich um Fernfahrer, die dort allenfalls als Gäste übernachteten. Nach Angaben der Antragstellerin seien die beschäftigten Fernfahrer ständig unterwegs. Mithin übernachtet der einzelne Fernfahrer nur in dem streitgegenständigen Objekt, wenn er sich am oder in der Nähe des Sitzes seines Arbeitgebers befindet. Für die ständige Fluktuation spricht nach Ansicht des Gerichts auch der Umstand, dass in dem vorgelegten „Mustermietvertrag“ der Mietzins mit 13 € pro Arbeitstag (Montag bis Freitag) vereinbart ist. Die Vereinbarung eines Mietzinses pro Arbeitstag habe lediglich dann einen Sinn, wenn die Belegung der Betten sich auch arbeitstäglich ändert.
Das Gericht geht ferner davon aus, dass es im vorliegenden Fall auch an der für eine Wohnnutzung notwendigen auf „Dauer angelegten Häuslichkeit“ fehlt. Hiergegen spreche bereits die ständig wechselnde Belegung. Dies gelte auch dann, wenn der Kreis der Nutzer auf Arbeitnehmer derselben Gesellschaft beschränkt sei. Dass die Mieter der Zimmer aus ihren Heimatländern schlichte und sehr beengte Wohnverhältnisse kennen, rechtfertigt es nicht, auf die nach deutschem Recht für eine Wohnnutzung vorauszusetzende Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises zu verzichten.
Insgesamt vertritt das Gericht die Auffassung, dass die hier vorliegende Nutzung als Beherbergung einzustufen ist, die durch eine genehmigte Wohnnutzung nicht mehr gedeckt ist.

Anmerkung: Das vorliegende Urteil setzt sich mit der in der Praxis häufig aufkommenden Frage auseinander, wie der bauplanungsrechtliche Wohnbegriff zu bestimmen und von anderen Nutzungsarten (hier der Beherbergung) zu unterscheiden ist. Ist (nur) eine Wohnnutzung genehmigt, so hat die Behörde grundsätzlich eine Nutzungsuntersagung zu erlassen, wenn die tatsächliche ausgeübte Nutzung planungsrechtlich als Beherbergung einzustufen ist.
Welche Nutzungsart vorliegt, ist immer anhand des konkreten Einzelfalls zu entscheiden. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof unterstreicht mit seinem Urteil nochmals, dass in der Regel objektive Kriterien ausschlaggebend sind. So setzt sich das Gericht nicht mit der Frage auseinander, ob die Fernfahrer an einem anderen Ort ihren Lebensmittelpunkt haben. Es prüft auch nicht, ob diese das Arbeitnehmerwohnheim als „ihr Zuhause“ ansehen. Entscheidend ist für das Gericht, dass die Ausstattung der Räumlichkeiten eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit und eine Eigengestaltung der Haushaltsführung nach deutschen Standards nicht zulassen. Im Umkehrschluss kann ein „Arbeitnehmerwohnheim“ also durchaus eine Wohnnutzung darstellen, wenn die Ausstattung (und die Belegung) im Einzelfall anders ausgestaltet ist.

Den Wortlaut finden Sie in GE 2020, Seite 479 und in unserer Datenbank.
Autor: RA Jakob Hans Hien, Knauthe Rechtsanwälte Berlin


Links: