Grundeigentum-Verlag GmbH
grundeigentum-verlag
Verlag für private und unternehmerische Immobilien
Anzeige

News  →  Hintergrund


Karlsruhe: „Der Berliner Mietendeckel ist nichtig!“
Normenkontrollklage des Bundestages und zwei Richtervorlagen waren erfolgreich
15.04.2021 (GE 8/21) Der 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts hat mit am 15. April veröffentlichtem Beschluss vom 25. März 2021 in drei zusammengefassten Verfahren – 2 BvF 1/20, 2 BvL 4/20 und 2 BvL 5/20 – das Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin (MietenWoG Bln) – allgemein als „Mietendeckel“ bezeichnet – für mit dem Grundgesetz unvereinbar und deshalb nichtig erklärt. Zum einen hatten 284 Abgeordnete des Deutschen Bundestages der Fraktionen von CDU/CSU und FDP ein Normenkontrollverfahren angestrengt, zum anderen lagen dem Bundesverfassungsgericht zwei Richtervorlagen aus Berlin vor, die den Mietendeckel für verfassungswidrig hielten. Die ZK 67 des Landgerichts Berlin (Beschluss vom12. März 2020 - 67 S 274/19 -[GE 2020, 468]) und das AG Mitte (Aussetzungsbeschluss vom 18. Mai 2020 -113 C 5055/19 - [GE 2020, 743]) hatten das Gesetz für verfassungswidrig gehalten und dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt.
Das Bundesverfassungsgericht hielt das MietenWoG Bln mit Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit Art. 72 Abs. 1 GG für unvereinbar und für von Anfang an nichtig, was Auswirkungen auf die Nachzahlungspflichten und die – wie sich nun zeigt – Vereinbarung sog. „Schattenmieten“ hat, deren Zulässigkeit als erster der Berliner Rechtsanwalt Dr. Michael Schultz im GRUNDEIGENTUM (Heft 3/2020 Seite 168 ff.) für die Leser dargestellt und begründet hatte. Wer sich an unsere Empfehlungen gehalten hat, hat damit einen dauerhaften Mehrwert generiert.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts umfasst rund 70 Druckseiten mit sehr in die Tiefe gehenden dogmatischen Ausführungen zur Frage der Gesetzgebungskompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern, der Frage, ob das Mietrecht dem Bürgerlichen Recht insgesamt oder doch auch dem öffentlichen Recht zuzurechnen ist, auch zur Entwicklung des Mietrechts in den letzten 150 Jahren – all dies wird man einer tieferen Analyse im Hinblick auf künftige Gesetzgebungsverfahren unterziehen müssen, für den praktischen Anwender sind die umfangreichen Ausführungen kaum relevant. Zur Lösung der praktischen Probleme, die der Anwender auf dem Tisch hat, findet sich in der Entscheidung im Prinzip nur ein wichtiger Satz:
„Das Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin (MietenWoG Bln) … ist mit Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit Art. 72 Abs. 1des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig.“
Aus der Verwendung des Begriffs „nichtig“ führt der Weg für den Praktiker zu den §§ 78, 79 Bundesverfassungsgerichtsgesetz, welche die Rechtsfolgen einer solchen Nichtigkeitserklärung behandeln. Dazu später mehr. Zunächst kurz zur Begründung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, das wie folgt argumentiert:
1. Das Grundgesetz geht von einer in aller Regel abschließenden Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern aus. Abgrenzung und Inhalt der Gesetzgebungsbefugnisse von Bund und Ländern richten sich dabei ausschließlich nach Art. 70 ff. GG. Die Gesetzgebungskompetenzen werden insbesondere mittels der Kataloge der Art. 73 und Art. 74 GG durchweg alternativ voneinander abgegrenzt. Doppelzuständigkeiten sind dem Grundgesetz in der Regel fremd. Der Bund hat demnach das Recht zur Gesetzgebung, soweit das Grundgesetz ihm dieses ausdrücklich zuweist. Der Kompetenzbereich der Länder wird daher grundsätzlich durch die Reichweite der Bundeskompetenzen bestimmt, nicht umgekehrt. Eine Zuständigkeitsvermutung zugunsten der Länder kennt das Grundgesetz nicht. Öffnungsklauseln in Bundesgesetzen sind zwar zulässig, gewähren den Ländern aber keine über die Öffnung hinausgehenden Spielräume.
2. Die konkurrierende Gesetzgebung regelt das Grundgesetz im Wesentlichen in den Art. 72 und Art. 74 sowie Art. 105 GG abschließend. Macht der Bund von der konkurrierenden Gesetzgebung Gebrauch, verlieren die Länder gemäß Art. 72 Abs. 1 GG das Recht zur Gesetzgebung in dem Zeitpunkt („solange“) und in dem Umfang („soweit“), in dem der Bund die Gesetzgebungskompetenz zulässigerweise in Anspruch nimmt (sogenannte Sperrwirkung). Soweit die Sperrwirkung reicht, entfällt die Gesetzgebungskompetenz der Länder. Sie verhindert für die Zukunft den Erlass neuer Landesgesetze und entzieht in der Vergangenheit erlassenen Landesgesetzen die Kompetenzgrundlage, sodass sie nichtig sind beziehungsweise werden. Die Sperrwirkung setzt voraus, dass bundes- und landesgesetzliche Regelung denselben Gegenstand betreffen. In sachlich-inhaltlicher Hinsicht reicht sie so weit, wie der Bundesgesetzgeber eine erschöpfende, also lückenlose und abschließende Regelung getroffen hat beziehungsweise treffen wollte.
3. Regelungen zur Miethöhe für ungebundenen Wohnraum fallen als Teil des sozialen Mietrechts in die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit für das bürgerliche Recht im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG.
Nach dem durch Staatspraxis und Regelungstradition seit nunmehr 150 Jahren geprägten Rechtsverständnis umfasst das bürgerliche Recht die Gesamtheit aller Normen, die herkömmlicherweise dem Zivilrecht zugerechnet werden. Entscheidend ist, ob durch eine Vorschrift Privatrechtsverhältnisse geregelt werden, also die Rechtsverhältnisse zwischen Privaten und die sich aus ihnen ergebenden Rechte und Pflichten. Das Recht der Mietverhältnisse ist seit dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs am 1. Januar 1900 in den §§ 535 ff. BGB geregelt und – ungeachtet zahlreicher Änderungen – ein essentieller Bestandteil des bürgerlichen Rechts. Das gilt auch für die Mietverhältnisse über Wohnungen (§ 549 BGB). Der Mietvertrag ist das Ergebnis privatautonomer Entscheidungen der Vertragsparteien. Das gilt selbst dann, wenn die privatautonom begründeten Rechte und Pflichten durch den Gesetzgeber näher ausgestaltet oder begrenzt werden.
4. Mit den §§ 556 bis 561 BGB hat der Bundesgesetzgeber von der konkurrierenden Zuständigkeit für das Mietpreisrecht als Teil des bürgerlichen Rechts abschließend Gebrauch gemacht.
Schon Regelungsintensität und Regelungsdichte der bundesgesetzlichen Vorschriften legen nahe, dass es sich bei den §§ 556 ff. BGB um eine umfassende und abschließende Regelung handelt. Die §§ 556 ff. BGB enthalten zudem keine Regelungsvorbehalte, Öffnungsklauseln oder Ermächtigungsvorschriften, die den Ländern den Erlass eigener oder abweichender mietpreisrechtlicher Vorschriften ermöglichen würden. Das ausdifferenzierte Regelungssystem und der Zusammenhang mit dem Kündigungsschutzrecht machen vielmehr deutlich, dass der Bundesgesetzgeber eine abschließende Regelung treffen wollte. Das wird durch die in § 556d Abs. 2 BGB normierte Verordnungsermächtigung (zur Einführung der Mietpreisbremse) nicht in Frage gestellt. Die Länder führen insoweit lediglich eine Regelung aus, die der Bund ausweislich Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG nach Inhalt, Zweck und Ausmaß inhaltlich weitgehend determiniert hat; eine eigenständige Regelungsbefugnis ist damit nicht verbunden.
Seit dem Mietrechtsreformgesetz vom 9. Juni 2001 hat der Bundesgesetzgeber – vom Bundesverfassungsgericht unbeanstandet – Regelungen der Miethöhe allein auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG gestützt. Mit dem Mietrechtsnovellierungsgesetz vom 21. April 2015 wurde zudem die in den §§ 556d ff. BGB geregelte Mietpreisbremse erstmals in das Bürgerliche Gesetzbuch aufgenommen. Der Begründung des Gesetzentwurfs lässt sich eine umfassende Abwägung aller berührten Belange entnehmen, und damit das Ziel eines abschließenden Interessenausgleichs zwischen den Mietvertragsparteien, der in der Folgezeit mehrfach nachjustiert wurde: Das Mietrechtsanpassungsgesetz vom 18. Dezember 2018 sollte verhindern, dass Mieter ihre Wohnungen aufgrund von Modernisierungen verlassen müssen. Das Gesetz zur Verlängerung des Betrachtungszeitraums für die ortsübliche Vergleichsmiete vom 21. Dezember 2019 intendierte eine moderate Modifikation der „ortsüblichen Vergleichsmiete“ des § 558 Abs. 2 Satz 1 BGB, namentlich die Verlängerung des Betrachtungszeitraums von vier auf sechs Jahre. Am 19. März 2020 beschloss der Bundestag schließlich das Gesetz zur Verlängerung und Verbesserung der Regelungen über die zulässige Miethöhe bei Mietbeginn, mit dem den Ländern die Möglichkeit eingeräumt wurde, die Mietpreisbremse für einen klar umrissenen Zeitraum weiter anzuwenden.
Spätestens mit dem Mietrechtsnovellierungsgesetz hat der Bund die Bemessung der höchstens zulässigen Miete für ungebundenen Wohnraum abschließend geregelt. In den vergangenen sechs Jahren hat er mit den vier genannten, teils umfangreichen Gesetzen auf die sich verschärfende Wohnungssituation in den Ballungsgebieten reagiert und versucht, mit detaillierten Regelungen einen Ausgleich zwischen den grundrechtlich geschützten Interessen der Vermieter und der Mieter zu gewährleisten und hierdurch die Mietpreisentwicklung in angespannten Wohnungsmärkten zu dämpfen.
Da der Bundesgesetzgeber von seiner konkurrierenden Kompetenz jedenfalls im Hinblick auf die Festlegung der höchstzulässigen Miete bei ungebundenem Wohnraum abschließend Gebrauch gemacht hat, sind die Länder von Regelungen der Miethöhe in diesem Bereich ausgeschlossen (Art. 72 Abs. 1 GG).
5. Der „Berliner Mietendeckel“ und die bundesgesetzliche Mietpreisbremse regeln im Wesentlichen denselben Gegenstand, nämlich den Schutz des Mieters vor überhöhten Mieten für ungebundenen Wohnraum. Das MietenWoG Bln verengt dabei allerdings die durch die bundesrechtlichen Regelungen belassenen Spielräume der Parteien des Mietvertrags und führt ein paralleles Mietpreisrecht auf Landesebene mit statischen und marktunabhängigen Festlegungen ein; es statuiert gesetzliche Verbote im Sinne von § 134 BGB, die die Privatautonomie beim Abschluss von Mietverträgen über Wohnraum über das nach den §§ 556 ff. BGB erlaubte Maß hinaus begrenzen. Das MietenWoG Bln modifiziert somit die durch das Bundesrecht angeordneten Rechtsfolgen und verschiebt die von diesem vorgenommene Austarierung der beteiligten Interessen.
So verbietet § 3 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 MietenWoG Bln die nach § 557 Abs. 1 BGB zulässige Mieterhöhung im laufenden Mietverhältnis beziehungsweise für Neuvermietungen. Durch § 3 Abs. 1 Satz 2 MietenWoG Bln sind die nach den §§ 557a, 557b BGB zulässigen Staffel- oder Indexmieten auf die zum Stichtag geschuldete Miete eingefroren. § 7 MietenWoG Bln reduziert die mieterhöhungsrelevanten Modernisierungsmaßnahmen auf einen Katalog, der enger ist als die Maßnahmen nach § 555b Nr. 1, Nr. 3 bis 6 BGB, und begrenzt die zulässige Mieterhöhung nach Modernisierungsmaßnahmen stärker als § 559 Abs. 1 BGB. Der Anwendungsbereich der Mietpreisregulierung wird durch das MietenWoG Bln ausgeweitet, nach Bundesrecht zulässige Mieterhöhungen werden ebenso wie danach zulässige Vereinbarungen über die Miethöhe bei Mietbeginn verboten. So wird durch die Mietobergrenzen des § 6 Abs. 1 bis Abs. 3 MietenWoG Bln die Vereinbarung einer 110 % der ortsüblichen Vergleichsmiete betragenden Miete – auch in den Fällen des § 4 MietenWoG Bln – entgegen § 556d Abs. 1 BGB ausgeschlossen.
Diese Beschränkungen des MietenWoG Bln treten neben das Regelungsregime der Mietpreisbremse gemäß §§ 556d ff. BGB. Da die §§ 556 ff. BGB die Miethöhe für ungebundenen Wohnraum jedoch abschließend regeln, fehlt dem Land Berlin insoweit die Gesetzgebungskompetenz.

Die praktischen Auswirkungen
Mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgericht („nichtig“) wird der Rechtszustand wiederhergestellt, der vor Erlass des Mietendeckelgesetzes gegolten hat.
■ Sofern Mieten gesenkt werden mussten ­– sei es schon mit Inkrafttreten des Gesetzes im Februar auf die sog. Stichtagsmiete bei Mieterhöhungen zwischen Stichtag und Inkrafttreten, sei es gem. § 5 MietenWoG Bln ab der Dezembermiete 2020 – müssen die Mieter die einbehaltenen Beiträge zurückzahlen. Die Rückzahlung wird mit Kenntnis des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts (das war der 15. April 2021 aufgrund der umfangreichen Berichterstattung) fällig, und zwar auch ohne Zahlungsaufforderung des Vermieters, die nach unserer Auffassung wohl nicht erforderlich, aber in jedem Fall zu empfehlen ist.
■ Eine sofortige fristlose Kündigungsmöglichkeit wegen Zahlungsverzugs besteht nicht, weil – erstens Mieter sich an – bis zum Beschluss des Bundesverfassungsgerichts – geltendes Gesetz gehalten haben und – zweitens – ihnen die Senkung überwiegend vom Vermieter mitgeteilt wurde. Allerdings müssen die Mieter die Differenzbeträge unverzüglich – ohne schuldhaftes Zögern, wofür üblicherweise maximal zwei Wochen zur Verfügung stehen – nachzahlen, andernfalls kann gekündigt werden.
■ Wer unseren Empfehlungen gefolgt ist und bei Neuvermietung sog. „Schattenmieten“ vereinbart hat, kann die Differenz zur Deckelmiete ab Mietbeginn nachfordern. Wer Mieterhöhungen nach § 558 BGB durchgeführt und vom Mieter die Zustimmung mit vorläufiger Zahlungsbeschränkung auf die Deckelmiete erhalten hat, kann ebenfalls nachfordern; wer deshalb vor Gericht gezogen ist und rechtskräftig unterlegen ist, muss neu starten, denn Urteile haben gem. §§ 78, 79 Bundesverfassungsgerichtsgesetz Bestand.
■ Wer sich an den Mietendeckel gehalten und bei Neuvermietung und/oder Bestandsmieterhöhung eine Miete nach MietenWoG vereinbart hat, könnte die Mietpreisvereinbarung bestenfalls anfechten, u. U. könnte auch mit dem Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) argumentiert werden – ein steiniger Weg. Wer eine solche Mietvereinbarung wegen Irrtums anfechten will, muss die Anfechtung unverzüglich, d. h. ohne schuldhaftes Zögern erklären.
Sofern Eigentümer zu Bußgeld oder Zwangsgeld verurteilt worden sind, darf daraus nicht mehr vollstreckt werden; laufende Bußgeldverfahren sind sofort einzustellen.

Unsere Empfehlungen
Gehen Sie mit Ihren Mietern partnerschaftlich um, bieten Sie ihnen, wo erforderlich, Ratenzahlung an, greifen Sie nicht vorschnell zur Keule Kündigung, denn es gibt auch noch ein Leben nach Karlsruhe.
Der Verlag stellt im Laufe der 16. Woche alle notwendigen Formulare zur Verfügung. Das kommende GE 9 enthält ausführliche Erläuterungen und auch den neuen Berliner Mietspiegel.


Links: