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Recht  →  Miet- & Zivilrecht


Rechtsprechung zum Besitzrecht des Mieters ist anzuwenden
Anwendung des Wohnraummietrechts auf ein zu Wohnzwecken verpachtetes Grundstück
03.02.2025 (GE 1/2025, S. 19) Das Besitzrecht des Pächters gehört ebenso wie das Besitzrecht des Mieters zu den vermögenswerten Rechten, die unter den Schutz der Eigentumsgarantie fallen. Die dazu ergangene Verfassungsrechtsprechung ist auch auf ein zu Wohnzwecken vermietetes Pachtgrundstück anzuwenden.
Der Fall: Die Beschwerdeführer hatten 1966 ein als „Pachtvertrag […] zur Ausnutzung zu Wohnzwecken“ bezeichnetes Nutzungsverhältnis über ein Grundstück abgeschlossen und in diesem Zusammenhang von den Vorpächtern ein auf dem Grundstück aufstehendes Gebäude erworben. Im Laufe der Zeit hatten die Beschwerdeführer erhebliche Investitionen in das Gebäude getätigt, um es altersgerecht und barrierefrei auszubauen.
Die Pacht war niedrig und ab dem Jahr 1973 war die damals landeseigene Gemeinnützige Siedlung und Wohnungsbaugesellschaft Berlin mbH (GSW) Eigentümerin des Grundstücks und auch der umliegenden Grundstücke. Nachdem die GSW das Grundstück verkauft hatte, kündigte der neue Eigentümer das Pachtverhältnis und verlangte Räumung. Beim Landgericht unterlag er, beim Kammergericht hatte seine Räumungsklage Erfolg.
Dagegen legten die Pächter Verfassungsbeschwerde ein, die sie damit begründeten, dass nicht Pacht-, sondern Wohnraummietrecht anzuwenden sei. Außerdem führten sie ihre erheblichen Investitionen, ihr hohes Alter, diverse schwere Erkrankungen, ihre Verwurzelung, ihr geringes Einkommen und drohende Obdachlosigkeit zur Begründung an – mit Erfolg!

Die Entscheidung: Das Urteil des Kammergerichts habe die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht auf Gewährleistung des Eigentums aus Art. 23 Abs. 1 VvB verletzt.
Der „Pachtvertrag […] zur Ausnutzung zu Wohnzwecken“ habe den Beschwerdeführern das Recht eingeräumt, das Grundstück durchgehend und ohne zeitliche Einschränkung zum Wohnen zu nutzen. Der verfassungsrechtliche Schutz dieses Besitzrechts an dem Grundstück sei durch die Anwendung allgemeiner pachtrechtlicher Regelungen nicht zutreffend erfasst.
Das Besitzrecht des Pächters gehöre ebenso wie das Besitzrecht des Mieters zu den vermögenswerten Rechten, die unter den Schutz der Eigentumsgarantie fielen.
Es gehöre zur freiheitssichernden Funktion des Grundrechts auf Eigentum, dass vertragstreue Mieter gegen den Verlust ihrer Wohnung, der nicht durch berechtigte Interessen des Vermieters begründet sei, geschützt werden. Die Verfassungsrechtsprechung zum Besitzrecht des Mieters an der gemieteten Wohnung als grundrechtlich geschütztes Eigentum sei auf den vorliegenden Fall übertragbar, weil es sich um die Überlassung eines Grundstücks zur ausdrücklich vereinbarten Nutzung allein zu Wohnzwecken und auf Dauer handele.
Der barrierefreie Ausbau des Wohngebäudes zeige, dass die damaligen Vertragsparteien von einem dauerhaften Wohnverhältnis ausgegangen seien.
Durch die Kündigung des „Pachtvertrages […] zur Ausnutzung zu Wohnzwecken“ hätten die Beschwerdeführer nicht einfach die Nutzungsbefugnis über das Grundstück und das in ihrem Eigentum stehende Wohngebäude verloren, sondern auch den Ort, der fast 60 Jahre lang ihr gemeinsamer Lebensmittelpunkt war und an dem sie auch ihren Lebensabend verbringen wollten, wofür sie erhebliche Investitionen getätigt hätten und worauf sie angesichts der Laufzeit des „Pachtvertrages“ auch vertrauen durften.
In einer erneuten Entscheidung werde das Kammergericht auch das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit der Beschwerdeführer und die sich daraus ergebende staatliche Schutzpflicht angemessen beachten müssen.

Den Wortlaut finden Sie in GE 2025, Seite 37 und in unserer Datenbank.


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