Recht → Miet- & Zivilrecht
Blinder Mieter kann Audiodateien verlangen
Anspruch auf barrierefreie Dokumente
13.05.2024 (GE 8/2024, S. 381) Seit mehr als 20 Jahren ist in § 191a Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) geregelt, dass blinde oder sehbehinderte Personen einen Anspruch auf barrierefreien Zugang zu Dokumenten haben, also auf Übertragung in für sie wahrnehmbarer Form. Der Bundesgerichtshof und das Bundesverfassungsgericht meinten, dies gelte nur, soweit erforderlich, was bei einer Vertretung durch einen Rechtsanwalt nicht der Fall sei. Das Landgericht München ist anderer Meinung.
Der Fall: Die stark sehbehinderte Mieterin einer Einzimmerwohnung war auf Räumung verklagt worden; sie beantragte in dem Verfahren mehrfach, ihr die Schriftsätze barrierefrei in Form einer Audiodatei zur Verfügung zu stellen, da sie der Blindenschrift nicht mächtig sei. Das Amtsgericht wies die Anträge unter Hinweis auf die Möglichkeit der Vermittlung durch ihren Rechtsanwalt zurück; die sofortige Beschwerde war erfolgreich.
Der Beschluss: Das Landgericht München meinte, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des BGH, wonach bei Vertretung durch einen Rechtsanwalt kein Anspruch auf Übertragung von Schriftstücken bestehe, habe jedenfalls nach der jetzigen Fassung des Gesetzes keine tragfähige Grundlage. Es könne nicht mehr darauf verwiesen werden, dass die Übertragung nicht erforderlich sei, weil der Rechtsanwalt die Schriftsätze erklären oder vorlesen könne. Selbst wenn man dieser überholten Rechtsprechung folgen wolle, wäre hier gleichwohl eine Erforderlichkeit der Bereitstellung von Audiodateien anzunehmen, weil der Streitstoff nicht übersichtlich sei und sich materiell-rechtliche und prozessuale Schwierigkeiten ergäben.
Anmerkung: Die verschiedenen Fassungen des § 191a GVG enthielten nicht das Kriterium der Erforderlichkeit; um so bedeutsamer ist es, wenn das LG München von der Rechtsprechung des BGH und des Bundesverfassungsgerichts abrückt und meint, aus dem Gesetz sei keine Einschränkung zu entnehmen und die obergerichtliche Rechtsprechung deutlich als „überholt“ bezeichnet. Die Bevölkerung altert, Behinderungen nehmen zu. Setzt sich die Auffassung des LG München durch, sind deutliche Verzögerungen in Mietprozessen zu erwarten.
Den Wortlaut finden Sie in GE 2024, Seite 398 und in unserer Datenbank.
Der Beschluss: Das Landgericht München meinte, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des BGH, wonach bei Vertretung durch einen Rechtsanwalt kein Anspruch auf Übertragung von Schriftstücken bestehe, habe jedenfalls nach der jetzigen Fassung des Gesetzes keine tragfähige Grundlage. Es könne nicht mehr darauf verwiesen werden, dass die Übertragung nicht erforderlich sei, weil der Rechtsanwalt die Schriftsätze erklären oder vorlesen könne. Selbst wenn man dieser überholten Rechtsprechung folgen wolle, wäre hier gleichwohl eine Erforderlichkeit der Bereitstellung von Audiodateien anzunehmen, weil der Streitstoff nicht übersichtlich sei und sich materiell-rechtliche und prozessuale Schwierigkeiten ergäben.
Anmerkung: Die verschiedenen Fassungen des § 191a GVG enthielten nicht das Kriterium der Erforderlichkeit; um so bedeutsamer ist es, wenn das LG München von der Rechtsprechung des BGH und des Bundesverfassungsgerichts abrückt und meint, aus dem Gesetz sei keine Einschränkung zu entnehmen und die obergerichtliche Rechtsprechung deutlich als „überholt“ bezeichnet. Die Bevölkerung altert, Behinderungen nehmen zu. Setzt sich die Auffassung des LG München durch, sind deutliche Verzögerungen in Mietprozessen zu erwarten.
Den Wortlaut finden Sie in GE 2024, Seite 398 und in unserer Datenbank.
Autor: Rudolf Beuermann
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