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Kündigung zum Zwecke von Abriss und Neubebauung Bessere Chancen durch Angebot von Ersatzwohnraum
Keine angemessene Verwertung: Konkrete Abwägung widerstreitender Interessen
04.06.2024 (GE 9/2024, S. 429) Der Vermieter kann nach § 573 BGB kündigen, wenn er sonst an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung gehindert und dadurch erhebliche Nachteile erleiden würde. Umstritten ist, ob das konkrete Bestandsinteresse des Mieters dabei zu berücksichtigen ist. Das LG Berlin [ZK 67] meint, dass bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs „erheblich“ sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen und abzuwägen sind, wozu nicht nur die „grundsätzlichen“, sondern auch die konkreten Interessen des Mieters am Fortbestand des Mietverhältnisses zählen. Der Vermieter könne seine Chancen verbessern, wenn er dem Mieter bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unwiderruflich Angebote zur Anmietung von Ersatzwohnraum mache oder solche vermittle.
Der Fall: Die Klägerin hatte ein Grundstück mit Wohngebäude gekauft und plante den Abriss sämtlicher Wohnungen. Nach der Neubebauung sollte das Grundstück mit einer Rendite von über 13 Millionen € veräußert werden. In der Kündigung des Mietverhältnisses mit dem Beklagten hieß es, bei Erhalt der bisherigen Bausubstanz sei ein Aufwand von knapp 7 Millionen € für die Sanierung erforderlich und die Bewirtschaftung nur mit jährlicher Unterdeckung möglich.
Das Amtsgericht wies die Räumungsklage ab; die Berufung war erfolglos.

Der Beschluss: In ihrem Hinweisbeschluss führte die 67. Kammer des LG Berlin aus, es könne offenbleiben, ob die Vermieterin das sanierungsbedürftige Grundstück zu einem überhöhten Preis zum Zweck des Neubaus gekauft habe, ob die Sanierungsbedürftigkeit auf eine planvolle Untätigkeit der Eigentümerin zurückgehe oder ob alternative Verwertungsmöglichkeiten bestanden hätten. Jedenfalls sei das Verwertungsinteresse des Eigentümers mit dem Bestandsinteresse des Mieters abzuwägen mit dem Ergebnis, dass hier ein erheblicher Nachteil i.S.d. Gesetzes durch den Fortbestand des Mietverhältnisses nicht zu bejahen sei.
Bei den wirtschaftlichen Nachteilen für die Klägerin sei zu berücksichtigen, dass sie in Kenntnis der eingeschränkten Möglichkeiten zur Kündigung das Grundstück erworben habe und sie keine Bauverpflichtung treffe. Sie sei auch „nach den tatsächlichen Umständen“ nicht zur Vollsanierung verpflichtet, sodass der mit einer nachhaltigen Gebäudesanierung verbundene Kostenaufwand noch nicht einen erheblichen Nachteil begründe.
Dagegen sei das konkrete Bestandsinteresse des Mieters abzuwägen, der seinen langjährigen Lebensmittelpunkt verlieren würde, sich mit ungewissem Ausgang auf dem durch erhebliche Preisanstiege und eine Verknappung freien Ersatzwohnraums gezeichneten Berliner Wohnungsmarkt behaupten müsste und auch die weiteren mit einem Wohnungswechsel verbundenen Belastungen zu tragen habe.
Ein für die Klägerin günstigeres Abwägungsergebnis wäre allenfalls gerechtfertigt gewesen, wenn die Klägerin Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen angeboten oder vermittelt hätte, was hier nicht geschehen sei.

Anmerkung: Die Kammer kann sich für ihre Entscheidung auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2003 (GE 2004, 174) stützen, wonach sämtliche Umstände des Einzelfalls einschließlich der konkreten Interessen des Mieters wie etwa erhebliche Eigenleistungen durch Renovierungsarbeiten gegeneinander abzuwägen sind.
Der Wortlaut des § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB, der nur die wirtschaftlichen Nachteile des Vermieters erwähnt, stützt eher die Gegenauffassung (etwa die von Häublein, Münchner Kommentar, Rn. 132 zu § 573), nach der diese nur im Rahmen der Sozialklausel nach § 574 BGB zu berücksichtigen sind.

Den Wortlaut finden Sie in GE 2024, Seite 449 und in unserer Datenbank.


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