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Narrengerichte
Unjuristische Betrachtungen einer Vorsitzenden Richterin am Landgericht
28.02.2008 (GE 4/2008, 209) Hier oben in Berlin fernab von Alaaf!!! und Funkenmariechen, touchiert nur von einem müden Kölner Rosenmontagsumzug-Imitat der Bonner Immigranten ist es schwer vorstellbar, daß eine eigene Karnevalsrechtsprechung der einschlägigen westlichen Gerichtsbezirke existiert.
Gemeint ist hier nicht das echte mittelalterliche Narrengericht, sondern das modifizierte Wertesystem, welches für Karnevalszeiten von völlig seriösen Spruchkörpern ordentlicher Gerichte zur Urteilsfindung Anwendung findet.
Verkehrssicherungspflichten im Ausnahmezustand: Während der karnevalesken Veranstaltung Lachende Kölnarena war ein Besucher auf einer Treppe gestürzt und verlangte Schmerzensgeld, was das OLG Köln wie schon die Vorinstanz schnöde abwies: Der Besucher einer derartigen Massenveranstaltung mit Alkoholkonsum muß, insbesondere im Karneval, darauf gefaßt sein, daß sich auf Fluren und Treppen Getränkereste befinden und sich hierauf einstellen. (OLG Köln vom 28. Juni 2002 - 19 U 7/02, NJW-RR 2003, 85). Dafür darf man aber in der beseelten Zeit machen, was man will: An den Karnevalstagen darf der Mieter seine Fahrzeuge auf dem Hof des Mietanwesens abstellen. Hierbei handelt es sich ersichtlich um eine Ausnahmesituation, von welcher die Besorgnis weiterer Beeinträchtigungen an anderen als den Karnevalstagen nicht ausgeht. (AG Brühl vom 4. April 1997 - 23 C 193/96, WuM 1997, 47). Wer das alles nicht weiß, der sucht in grenzenloser Naivität am Rosenmontag (!) in Koblenz einen Rechtsanwalt, der für ihn ein Rechtsmittel einlegt und findet keinen, aber dafür ironische Milde beim BGH: Ein außerhalb des Rheinlands ansässiger Berufungskläger braucht bei der Erteilung des Auftrags, Berufung einzulegen, grundsätzlich nicht damit zu rechnen, daß am frühen Nachmittag des Rosenmontags sämtliche Kanzleien der beim OLG Koblenz zugelassenen Rechtsanwälte geschlossen zu sein pflegen. (BGH vom 15. Oktober 1981 - III ZR 74/80, NJW 1982, 185).
Am sozial sinnvollsten scheint mir aber doch die segensreiche Institution des Narrengerichts, erstmals im 14. Jahrhundert erwähnt und nicht mit den heutigen nachmittäglichen Gerichtsshows zu verwechseln: Gewöhnlich hält das Narrengericht am Faßnacht Dienstag, auf dem öffentlichen Markte seine Sitzung, in welcher aus dem Protokolle der Gesellschaft dem Narrenbuche die Sottisen und Lächerlichkeiten großer und kleiner Menschen des Bezirks umher, größtentheils in Bänkelsängerpoesey abgelesen und durch schnurrige Sentenzen entschieden werden. Es bestand aus Gerichtsnarren, die das Narrengericht im engeren Sinne bilden, und Laufnarren. Diese tragen zweizipfelige und jene dreizipfelige Schellenkappen. Die Gerichtsnarren haben jeder eine besondere Funktion: z. B. Gerichtsfürsprech, bey Gericht Kläger, Britschen Maister, früher Dambor. (Starck, Über Narrengerichte, NJW 1988, 288). Personen, von denen Dummheiten ruchbar geworden sind, werden verhaftet und dem Gericht vorgeführt, das in einem verdunkelten Saal, den nur zwei Kerzen erhellen, verhandelt: Anklagen, Redmänner (Advokaten) helfen den Angeklagten, in schwierigen Fällen Untersuchungen durch Doktoren, Urteile mit Strafen. Es soll nach Narrengerichtsrecht gestraft werden, wobei jederzeit das Unrecht seinen Vorzug hat.
Ein jeder Narr tut, was er will.
Na, meinetwegen! Ich schweige still.
Wilhelm Busch, Der Nöckergreis
Verkehrssicherungspflichten im Ausnahmezustand: Während der karnevalesken Veranstaltung Lachende Kölnarena war ein Besucher auf einer Treppe gestürzt und verlangte Schmerzensgeld, was das OLG Köln wie schon die Vorinstanz schnöde abwies: Der Besucher einer derartigen Massenveranstaltung mit Alkoholkonsum muß, insbesondere im Karneval, darauf gefaßt sein, daß sich auf Fluren und Treppen Getränkereste befinden und sich hierauf einstellen. (OLG Köln vom 28. Juni 2002 - 19 U 7/02, NJW-RR 2003, 85). Dafür darf man aber in der beseelten Zeit machen, was man will: An den Karnevalstagen darf der Mieter seine Fahrzeuge auf dem Hof des Mietanwesens abstellen. Hierbei handelt es sich ersichtlich um eine Ausnahmesituation, von welcher die Besorgnis weiterer Beeinträchtigungen an anderen als den Karnevalstagen nicht ausgeht. (AG Brühl vom 4. April 1997 - 23 C 193/96, WuM 1997, 47). Wer das alles nicht weiß, der sucht in grenzenloser Naivität am Rosenmontag (!) in Koblenz einen Rechtsanwalt, der für ihn ein Rechtsmittel einlegt und findet keinen, aber dafür ironische Milde beim BGH: Ein außerhalb des Rheinlands ansässiger Berufungskläger braucht bei der Erteilung des Auftrags, Berufung einzulegen, grundsätzlich nicht damit zu rechnen, daß am frühen Nachmittag des Rosenmontags sämtliche Kanzleien der beim OLG Koblenz zugelassenen Rechtsanwälte geschlossen zu sein pflegen. (BGH vom 15. Oktober 1981 - III ZR 74/80, NJW 1982, 185).
Am sozial sinnvollsten scheint mir aber doch die segensreiche Institution des Narrengerichts, erstmals im 14. Jahrhundert erwähnt und nicht mit den heutigen nachmittäglichen Gerichtsshows zu verwechseln: Gewöhnlich hält das Narrengericht am Faßnacht Dienstag, auf dem öffentlichen Markte seine Sitzung, in welcher aus dem Protokolle der Gesellschaft dem Narrenbuche die Sottisen und Lächerlichkeiten großer und kleiner Menschen des Bezirks umher, größtentheils in Bänkelsängerpoesey abgelesen und durch schnurrige Sentenzen entschieden werden. Es bestand aus Gerichtsnarren, die das Narrengericht im engeren Sinne bilden, und Laufnarren. Diese tragen zweizipfelige und jene dreizipfelige Schellenkappen. Die Gerichtsnarren haben jeder eine besondere Funktion: z. B. Gerichtsfürsprech, bey Gericht Kläger, Britschen Maister, früher Dambor. (Starck, Über Narrengerichte, NJW 1988, 288). Personen, von denen Dummheiten ruchbar geworden sind, werden verhaftet und dem Gericht vorgeführt, das in einem verdunkelten Saal, den nur zwei Kerzen erhellen, verhandelt: Anklagen, Redmänner (Advokaten) helfen den Angeklagten, in schwierigen Fällen Untersuchungen durch Doktoren, Urteile mit Strafen. Es soll nach Narrengerichtsrecht gestraft werden, wobei jederzeit das Unrecht seinen Vorzug hat.
Ein jeder Narr tut, was er will.
Na, meinetwegen! Ich schweige still.
Wilhelm Busch, Der Nöckergreis
Autor: Regine Paschke