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Diskussion im Bauausschuß des Berliner Abgeordnetenhauses
Rot-Rot in Berlin will qualifizierte Mietspiegel durch einen politischen zu Mietsenkung ablösen
28.02.2008 (GE 4/2008, 223) Die Berliner Koalition aus SPD und DIE LINKE ist, wie aus dem Wortprotokoll der Sitzung des Ausschusses für Bauen und Wohnen des Berliner Abgeordnetenhauses am 30. Januar hervorgeht, fest entschlossen, 2009 den bisherigen qualifizierten Mietspiegel durch einen politischen zu ersetzen. Die vereinigte Linke hatte - wie berichtet (vgl. GE 2007, 1580 - im Abgeordnetenhaus mehrere Anträge eingebracht, um die künftige Mietentwicklung zu dämpfen. Unter anderem sollten die ausgewiesenen Spannen verengt werden. Den von uns aus diesen Anträgen gezogenen Schluß, damit solle der Versuch unternommen werden, „die Berliner Mietenlandschaft nicht mehr realistisch abzubilden, sondern zu einem niedrigeren Mietniveau zu kommen“, bestätigte der Sprecher der Linksfraktion, Uwe Doering, mit Verweis auf den Beitrag im GRUNDEIGENTUM ausdrücklich wie folgt: „Das ist die Kernaussage dieses Artikels, die ich voll unterstreichen möchte.“
Der Vorsitzende des Bauausschusses, der Abgeordnete Dr. Manuel Heide (CDU), hatte eingangs der Sitzung darauf hingewiesen, daß die Grundsätze der Aufstellung des Mietspiegels keine Angelegenheit der öffentlichen Hand oder des Parlamentes seien, sondern überwiegend Sache der Vermieter- und Mieterverbände. Die führten aber schon seit Ende November 2007 Gespräche unter Beteiligung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Was den von der Regierungskoalition gewünschten Ausweis der energetischen Beschaffenheit betreffe, würde aufgrund der Übergangsfristen zur Einführung des Energieausweises bei der Datenerhebung für den Mietspiegel für 2009 vermutlich noch gar nicht genügend Datenmaterial vorliegen.
Der FDP-Abgeordnete Albert Weingartner trat dafür ein, das Land solle sich gänzlich aus der Erstellung des Mietspiegels zurückziehen und auch die Kosten dafür von den Mieter- und Vermieterverbänden tragen lassen – das seien „immerhin locker 300.000 € jedes Jahr, die dafür aufgewandt werden“. Im übrigen solle Berlin endlich seine Preistreiberei bei den Betriebskosten, etwa bei Grundsteuer, Müll- und Straßenreinigungs-, Wasser- und Abwasserentgelten einstellen.
Wie wenig Berliner Lokalpolitiker vom Mietrecht verstehen, belegten die Ausführungen des baupolitischen Sprechers der SPD, Dr. Michael Arndt. Wörtlich: „Und die Aushandlung – da stimme ich mit Ihnen vollkommen überein – haben die Verhandlungspartner – Vermieter und Mieter – zu regeln. Die Rahmenrichtlinien, was in einem derartigen Tarifgebäude drin ist, ist doch aber auch Sache des Gesetzgebers, Vorlagen dazu auszuarbeiten. Das ist im Tarifrecht genauso; das ist keine Einmischung.“
Daß der Gesetzgeber in diesem Bereich der Bundesgesetzgeber ist, daß das Berliner Abgeordnetenhaus keinerlei Gesetzgebungskompetenz hat, weiß Arndt nicht. Daß der Bundesgesetzgeber von seiner Gesetzgebungskompetenz abschließend Gebrauch gemacht hat, auch nicht. Ebensowenig, daß es eine gesetzlich definierte ortsübliche Vergleichsmiete gibt, die durch einen Mietspiegel letztlich nur – und zwar möglichst realitätsnah – abgebildet wird. Statt dessen glaubt der Abgeordnete, es ginge hier um „Tarifverhandlungen“! Im weiteren Verlauf der Sitzung verstieg er sich sogar zu dem Vorwurf, bei der Mietspiegelerstellung sei es „in der Vergangenheit zu Mauscheleien“ gekommen. Eine Äußerung, die von der Staatssekretärin der Stadtentwicklungsverwaltung, Hella Dunger-Löper (SPD), unverzüglich und ausdrücklich zurückgewiesen wurde. Sie versuchte ersichtlich, Vernunft in die Diskussion zu bringen und betonte, das Interesse aller in dieser Stadt müsse es sein, zu einem rechtssicheren Mietspiegel zu kommen: „Die Rechtssicherheit ist der wesentliche Punkt, und die bisherige Rechtsprechung attestiert dem Berliner Mietspiegel immer wieder, daß dieses erreicht ist, und daß einzelne Richter sogar hinsichtlich der rechtlich durchaus gegebenen Möglichkeit, vom Mietspiegel abzuweichen, attestieren, daß der Mietspiegel das höherrangige Instrument sei und eine entsprechende Anerkennung von Gutachten nicht akzeptieren.“
Dunger-Löper versprach: „Wir werden weiter daran arbeiten, daß das für den Mietspiegel 2009 auch so bleibt, und dabei ist es besonders wichtig, daß die Arbeitsgruppe, die das Mietspiegelverfahren begleitet und steuert und in der die unterschiedlichen Interessenlagen vertreten sind, möglichst konsensual miteinander arbeitet.“
Zu den Mietspiegelspannen erklärte die Staatssekretärin: „Wir haben ein flexibel angepaßtes System, das in den einzelnen Zellen jeweils berechnet, wie weit die Mietspannen auseinandergehen und davon abhängig jeweils die Mietspanne beschreibt. Ich will im Vergleich nur darauf hinweisen, daß z. B. Potsdam durchgängig und uneingeschränkt nicht mit dieser flexiblen Anpassung von vier Fünfteln als Spannbreite ausweist. Sicherlich ist es anzustreben, daß die Spannen zusammengeführt werden, aber die objektive Sachlage wird durch die Untersuchung erst zutage gefördert werden.“ Zum von der Regierungskoalition gewünschten Ausweis der energetischen Beschaffenheit als Sondermerkmal erklärte der FDP-Abgeordnete Klaus-Peter von Lüdeke: „Der eine oder andere war gestern Abend beim Haus- und Grundeigentümerverband und hat dort vielleicht die Rede von Herrn Blümmel über die energetischen Maßnahmen gehört. Er hat das ein wenig ironisch und überspitzt dargestellt. Es ist in der Tat nicht das gleiche, wenn wir sagen: Wir treffen die energetischen Maßnahmen, legen sie selbstverständlich um, und auf der anderen Seite, lieber Mieter, sparst Du dafür die Heizkosten. – Daß das nicht das gleiche ist, darüber müssen wir nicht lange reden.“ Was die Koalition im Roten Rathaus letztlich wirklich will, erschließt sich am eindeutigsten aus den unverblümten Äußerungen des Sprechers der Linksfraktion, Uwe Doering. Sie sind es wert, ausführlicher zitiert zu werden:
„Es ist mir klar, daß dieses Thema ideologisch belastet ist. Die einen machen sich über die Einnahmequellen der Vermieter Sorgen, und die anderen machen sich Sorgen, ob die steigenden Mieten noch von den Mietern zu tragen sind oder nicht. Nun gibt es mit dem Mietspiegel 2007 eine Entwicklung. Berlin ist eine Mieterstadt. Es dürfte Ihnen allen nicht entgangen sein, daß dieser Mietspiegel 2007 – ich möchte nicht von Protesten sprechen – zu Debatten bei den Mieterorganisationen und Mieterinnen und Mietern geführt hat. Er hat dazu beizutragen, daß es in einigen Wohnquartieren zu enormen Mieterhöhungen gekommen ist. Wie wir feststellten – das belegt der Mietspiegel –, belaufen sich die Mietsteigerungen durchschnittlich zwischen 5 und 6 %. Jetzt sprechen wir über die berühmten 4 %, die noch auf die Mieterinnen und Mieter hinzukommen, das sind insgesamt 10 %. – [Vorsitzender Dr. Manuel Heide: In welchem Zeitraum?] – In den letzten Jahren. Wir brauchen jedoch nicht über Zeiträume zu sprechen. Wenn wir das doch tun, dann frage ich Sie allen Ernstes: Wann sind in der letzten Zeit die Einkommen der Rentnerinnen und Rentner gestiegen? In welchem Zeitraum sind bei den sozial schwachen Familien, die über ein geringes Einkommen verfügen, die Gehälter um 10 % gestiegen – außer bei den Lokomotivführern? – Das ist die Entwicklung, die wir in dieser Stadt zu verzeichnen haben und die zu dieser Debatte geführt hat.
Die aktuelle Sozialstudie der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung belegt, daß es in bestimmten Wohnquartieren inzwischen zu Verdrängungen und Konzentrationen gekommen ist, weil sich dort Familien mit geringen Einkommen angesiedelt haben. Dieser Entwicklung müssen wir entgegensteuern. Meiner Auffassung nach sind die Wohnungsbaugesellschaften von einer stetig steigenden Bedeutung. Sie haben die Aufgabe – nach meiner Auffassung, ansonsten wären sie nicht kommunal –, mit dazu beizutragen, daß es preisgünstigen Wohnraum für Familien mit geringen Einkommen gibt. Ferner haben die Wohnungsbaugesellschaften die Aufgabe, auf den Mietmarkt dämpfend einzuwirken. – So viel zu dem Hintergrund unseres Antrages zum Mietspiegel 2007.
Es hat in einer Wohnungsbaugesellschaft in Mitte die Diskussion um eine Anweisung gegeben, nach der diese Wohnungsbaugesellschaft Mieten nimmt, die über dem Mietspiegel liegen. Das kann nach unserer Auffassung, die eine politische ist, nicht sein. […] Der Auftrag dieser Wohnungsbaugesellschaft ist es, dafür zu sorgen, daß sie mietdämpfend wirkt. Es kann nicht sein, daß eine kommunale Wohnungsbaugesellschaft über den Mietspiegel hinaus geht. Das ist meine politische Auffassung. Wir haben diesen Antrag eingebracht, weil er Sinn macht. Er mag für Sie vielleicht keinen Sinn machen, weil Sie eine andere politische Auffassung haben, aber ich vertrete diese Auffassung. […]
Die andere Frage ist: Wie gelangt man zu einem anderen Mietspiegel, durch den Spannbreiten entwickelt werden, die auch diejenigen, die über keine so hohen Einkommen verfügen, wie sie in Ihren Kreisen der Fall sind – der größte Teil der Bevölkerung verfügt über geringe Einkommen –, mittragen können? Ich als Politiker stehe in der Verantwortung, und deshalb reagiere ich mit derartigen Anträgen. – Nur, um Ihnen zu belegen, daß es hierbei um ideologische Gründe geht: Die Zeitschrift DAS GRUNDEIGENTUM hat im Dezember einen Artikel zum Thema „Mit Daumenschrauben gegen Gesetz und Markt“ geschrieben. „Berliner Links-Politiker“ – damit sind Rot-Rot gemeint – „gefährden Mietspiegel 2009.“ – Die Zeitschrift kommt zu der Erkenntnis – Zitat: „Dabei geht es darum, daß wir zu einem niedrigen Mietniveau kommen.“ – Das ist die Kernaussage dieses Artikels, die ich voll unterstreichen möchte.“
Die Grundprobleme der Diskussion faßte der Ausschußvorsitzende Dr. Manuel Heide so zusammen: „Wenn ich Sie und den Mietspiegel richtig verstanden habe, dann soll dieser Mietspiegel ein rechtssicheres Instrument zur Abbildung des Marktes sein. Nach dem, was von der Linkskoalition gefordert wird, will man den Mietspiegel offensichtlich als Instrument der Mietpreissteuerung haben. Ich dachte, wir hätten diese Phase in Berlin überwunden.“


Taggleicher elektronischer Mietspiegel in Sichtweite

Unsere abschließende Einschätzung: Diese Diskussion ist der Anfang vom Ende des qualifizierten Mietspiegels in Berlin – ein Instrument, das im Internet-Zeitalter sowieso seine Berechtigung längst verloren hat. Nicht vom Berliner Senat und den Regierungsfraktionen beeinfluß- und steuerbare Gesellschaften und andere Vereinigungen mit großen Wohnungsbeständen arbeiten längst an dem, was der Sprecher von Haus & Grund Berlin, Dieter Blümmel, vor über zehn Jahren als besten aller Nachweise für die ortsübliche Vergleichsmiete so bezeichnet hat: „Einen taggenauen elektronischen Mietspiegel.“ Eine Datenbank mit einigen 100.000 Wohnungen, bei denen Mietänderungen sofort eingegeben werden und auch zahlreiche Sonderausstattungen recherchiert werden können. Nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. GE 2008, 154, 191) dürfte nicht mehr zweifelhaft sein, daß eine solche Datenbank auch ohne Beteiligung der Gemeinde oder der Mieterverbände als „sonstiges Begründungsmittel“ von den Gerichten akzeptiert wird.