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Widersprüchliches und unvollständiges Gutachten des Sachverständigen nicht ausreichend gewürdigt
Härteeinwand des Mieters gegen Räumungsurteil
01.12.2025 (GE 20/2025, S. 998) Auch einer begründeten Kündigung kann ein Mieter widersprechen, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für ihn eine unzumutbare Härte bedeuten würde. Gerade bei älteren Mietern spielen die mit einem Wohnungsverlust einhergehenden gesundheitlichen Gefahren eine Rolle. Gerichte müssen hierzu ein Sachverständigengutachten einzuholen, dem sie aber nicht kritiklos folgen dürfen, wenn sich das Gutachten als unvollständig, unzureichend und in sich widersprüchlich erweist. Dann ist eine weitere Beweiserhebung geboten, die nicht mit angeblich eigener Sachkunde des Gerichts verneint werden kann.
Der Fall: Der 81-jährige Mieter widersprach der Eigenbedarfskündigung und wies auf erhebliche psychische Beeinträchtigungen nach einem Umzug hin. Im Räumungsrechtsstreit machte er zudem ein hohes Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko geltend. Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens gab das Amtsgericht der Räumungsklage statt. Die Gesundheitsgefahren seien nicht erheblich, was sich auch daraus ergebe, dass der Mieter regelmäßig sich auch in seinem Einfamilienhaus in Travemünde aufhalte, was mit einer schwerwiegenden dementiellen Erkrankung nicht zu vereinbaren sei.
Das Landgericht wies die Berufung nach persönlicher Anhörung des Beklagten zurück; die Nichtzulassungsbeschwerde war erfolgreich.

Der Beschluss: Der Bundesgerichtshof nahm eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör an. Äußerungen medizinischer Sachverständiger habe der Tatrichter kritisch zu prüfen, wofür hier besondere Veranlassung bestanden habe. Das Gutachten des Sachverständigen sei unvollständig, unzureichend und zum Teil in sich widersprüchlich. Wenn dann das Gericht nur Teile des Gutachtens zum Nachteil des Beklagten als „überzeugend begründet“ übernommen habe, sei der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Ferner sei das Berufungsgericht verpflichtet gewesen, zu der behaupteten Herzerkrankung ein Sachverständigengutachten einzuholen; seine Beurteilung, der Beklagte habe schließlich regelmäßig ohne Begleitung öffentliche Verkehrsmittel zwischen Berlin und Travemünde nutzen können, sei ohne eigene Sachkunde fehlerhaft.
Der BGH verwies die Sache an eine andere Kammer des Landgerichts zur neuen Verhandlung und Beweisaufnahme zurück.

Anmerkung: Nach der Rechtsprechung des BGH begründet das hohe Alter des Mieters allein noch nicht die Härte nach § 574 BGB. Die ernsthafte Gefahr einer erheblichen gesundheitlichen Verschlechterung reicht aber aus; dazu hat das Gericht auch von Amts wegen ein Sachverständigengutachten einzuholen, wenn der Mieter ein aussagekräftiges fachärztliches Attest vorgelegt hat. Wie der Beschluss des BGH zeigt, kann auch die Einholung eines weiteren Gutachtens nötig sein, wenn das Erstgutachten sich als unvollständig und widersprüchlich erweist.

Den Wortlaut finden Sie in GE 2025, Seite 1010 und in unserer Datenbank.


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