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Recht  →  Miet- & Zivilrecht


Trotz Räumungsvergleichs Anspruch des Mieters auf Schadensersatz nach vorgetäuschtem Betriebsbedarf 
Schuldhafte unberechtigte Kündigung schaffte zweimal den Weg zum BGH und zurück
03.07.2017 (GE 11/2017, S. 620) Das Landgericht Koblenz hatte die Schadensersatzklage eines Wohnraummieters, dem wegen eines – vorgetäuschten – Betriebsbedarfs gekündigt worden war, abgewiesen, weil der Mieter im Rechtsstreit mit dem Vermieter einen Räumungsvergleich abgeschlossen hatte, den das Landgericht als stillschweigenden Verzicht auf weitere Ansprüche wertete. Der BGH hatte dieses Urteil aufgehoben und die Sache an eine andere Kammer des Landgerichts zurückverwiesen (GE 2015, 1026). Durch ein weiteres Urteil hatte das LG Koblenz nach Beweisaufnahme die Klage erneut abgewiesen. Auch dieses Urteil wurde mit der Revision angefochten. Mit Erfolg! Der BGH hob es auf und verwies die Sache an eine andere, nun aber an eine ganz bestimmte Kammer des Landgerichts zurück.
Der Fall: Der Kläger (Mieter) hatte im Jahre 2008 vom Rechtsvorgänger des Beklagten eine 4-Zimmer-Wohnung gemietet; die monatliche Miete betrug zuletzt 523,09 € brutto. Der Beklagte kündigte das Mietverhältnis im Jahr 2010 mit der – vom Kläger durchgängig bestrittenen – Begründung, die Wohnung werde für einen neuen Hausmeister benötigt.
Nach einer Räumungsklage des Beklagten schlossen die Parteien im Vorprozess am 14. Juni 2011 einen Vergleich, in dem sich der Kläger verpflichtete, die Wohnung bis spätestens Ende 2011 zu räumen. Im Anschluss an den am 31. Oktober 2011 erfolgten Auszug des Klägers zog allerdings nicht der angekündigte neue Hausmeister, sondern eine – nicht mit Hausmeisterdiensten betraute – Familie in die Wohnung ein.
Im vorliegenden Prozess begehrt der Kläger wegen des seiner Auffassung nach nur vorgetäuschten Betriebsbedarfs u. a. Ersatz der Umzugskosten sowie der Mehrkosten, die ihm durch die höhere Miete für die neue Wohnung entstehen.
Die auf Zahlung von insgesamt 25.833,43 € nebst Zinsen und vorgerichtlichen Anwaltskosten gerichtete Klage hat in den Vorinstanzen keinen Erfolg gehabt. Dabei hat die zunächst mit der Sache befasste Berufungskammer des Landgerichts darauf abgestellt, dass die Parteien mit dem Räumungsvergleich einen endgültigen Schlussstrich unter das Mietverhältnis hätten ziehen wollen, weshalb es dem Kläger verwehrt sei, im Nachhinein Schadensersatzansprüche wegen vorgetäuschten Eigenbedarfs geltend zu machen. Mit Urteil vom 10. Juni 2015 - VIII ZR 99/14 - (GE 2015, 1026) hat der BGH dieses (erste) Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Auch die neue Kammer hat die Berufung des Klägers gegen die erstinstanzliche Entscheidung zurückgewiesen. Das Gericht sei aufgrund der Darlegungen des Beklagten und insbesondere der lebensnahen und nachvollziehbaren Angaben des als Zeugen vernommenen neuen Hausmeisters überzeugt, dass der Beklagte bei Ausspruch der Kündigung und noch bis nach dem Auszug des Klägers die Absicht gehabt habe, die Wohnung dem Hausmeister zur Verfügung zu stellen. Der Beklagte habe plausibel vorgetragen, der neue Hausmeister habe ihn erst Anfang November 2011 darüber informiert, dass er wegen seiner Erkrankung (u. a. Kniebeschwerden) nicht in die im dritten Obergeschoss liegende Wohnung einziehen werde.
Mit der vom BGH erneut zugelassenen Revision verfolgte der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Das Urteil: Der VIII. Zivilsenat des BGH hat das Berufungsurteil nur insoweit bestätigt, als darin hinsichtlich einer einzelnen, nicht ausreichend substantiierten Schadensposition (erhöhte Fahrtkosten) zum Nachteil des Klägers entschieden worden war. Im Übrigen hat der BGH das Berufungsurteil ein weiteres Mal aufgehoben und die Sache wiederum an eine andere (dritte) Kammer des Landgerichts zurückverwiesen, damit die erforderlichen Feststellungen unter Beachtung seiner Rechtsauffassung getroffen werden. Dabei hat er die besondere Bedeutung hervorgehoben, die der vollständigen und sorgfältigen Würdigung des Prozessstoffes und des Ergebnisses der Beweisaufnahme durch die Gerichte gerade in Fällen zukomme, in denen ein Vermieter seinen zur Grundlage der Kündigung gemachten Bedarf an der Wohnung nach dem Auszug des Mieters nicht realisiert.
Durch eine schuldhafte unberechtigte Kündigung – insbesondere im Falle des Vortäuschens eines in Wahrheit nicht bestehenden Selbstnutzungswillens – könne sich ein Vermieter schadensersatzpflichtig machen, wenn der Mieter daraufhin auszieht und infolgedessen Vermögenseinbußen erleidet. Dabei treffe den Vermieter nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. zuletzt Senatsbeschluss vom 11. Oktober 2016 - VIII ZR 300/15, GE 2017, 97 Rn. 15) in Fällen, in denen er den zur Grundlage der Kündigung gemachten Bedarf nach dem Auszug des Mieters nicht realisiere, eine besondere („sekundäre“) Darlegungslast zum nachträglichen Wegfall des Bedarfs. Setze der Vermieter den behaupteten Selbstnutzungswillen nach dem Auszug des Mieters nicht um, liege nämlich der Verdacht nahe, dass der Bedarf nur vorgeschoben gewesen sei. Unter diesen Umständen sei es dem Vermieter zuzumuten, substantiiert und plausibel („stimmig“) darzulegen, aus welchem Grund der mit der Kündigung vorgebrachte Bedarf nachträglich entfallen sein solle.
Diesen strengen Anforderungen sei der Beklagte hier nicht gerecht geworden. Bei einer tatsächlich bestehenden Bedarfslage wäre zu erwarten gewesen, dass er mit dem neuen Hausmeister jedenfalls nach Abschluss des Räumungsvergleichs im Juni 2011 alsbald einen Mietvertrag abschließen oder sich zumindest über den voraussichtlichen Mietbeginn und die genaue Miethöhe verständigen würde. Hierzu habe der Beklagte jedoch nichts vorgetragen, sondern ausgeführt, der Hausmeister habe sich erst in der ersten Novemberwoche „überlegt“ und ihm mitgeteilt, dass die im dritten Obergeschoss liegende Wohnung wegen seiner – seit längerem andauernden – Kniebeschwerden für ihn ungeeignet sei und er sie deshalb nunmehr doch nicht anmieten wolle. Diese Darstellung erscheine jedoch nicht plausibel und kaum nachvollziehbar. Komme der Vermieter seiner besonderen Darlegungslast in derartigen Fällen nicht nach, sei die ihm vorgeworfene Pflichtverletzung – hier das Vortäuschen eines nicht bestehenden Bedarfs an der Wohnung – als unstreitig zu behandeln.
Außerdem habe es das Berufungsgericht versäumt, sich mit unter Beweis gestellten Einwänden des Klägers gegen die Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage auseinanderzusetzen. Auch weiterem unter Beweis gestellten Vortrag des Klägers, der den vom Beklagten geltend gemachten Bedarf gerade an der streitgegenständlichen Wohnung in Frage stelle, sei das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft nicht nachgegangen.

Anmerkung: Mit der Zurückverweisung der Sache an das LG Koblenz hat der BGH den nunmehr zuständigen Spruchkörper ausdrücklich bezeichnet und damit im Prinzip in den Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts eingegriffen, was die Frage nach dem gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 GG aufwirft. Dazu wird allerdings teilweise die Ansicht vertreten, dass das von § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO gedeckt sei. Vorliegend ergibt sich aus dem Geschäftsverteilungsplan des LG Koblenz, dass die ZK 13 ausgesucht worden ist (die Kammer der Landgerichtspräsidentin!).
In dem vorliegenden Urteil setzt der BGH seine neuere Rechtsprechung zur notwendigen Substantiierung fort (vgl. zum notwendigen Vortrag bei einer Minderung wegen Lärmimmissionen, Urteil vom 25. Oktober 2011 - VIII ZR 125/11- [GE 2012, 60]). Damit werden die Anforderungen an die Substantiierung erheblich herabgesetzt: Ein Sachvortrag sei schon dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vortrage, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich seien, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten sei nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung seien. Das Gericht müsse nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen. Seien diese Anforderungen erfüllt, sei es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls die benannten Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach weiteren Einzelheiten zu befragen oder einem Sachverständigen die beweiserheblichen Streitfragen zu unterbreiten.
Das führt dazu, dass der im Prozessrecht bisher geltende Beibringungsgrundsatz ausgehöhlt und durch den Amtsermittlungsgrundsatz (zumindest teilweise) ersetzt wird. Das kann nur als bedenklich eingestuft werden.
Der Leitsatz des BGH zu a) umreißt die Anforderungen des „Betriebsbedarfs“ nach § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB völlig richtig. Gemessen daran war die ausgesprochene Kündigung aus Rechtsgründen sicher nicht gerechtfertigt (die gekündigte Wohnung liegt im 3. OG des Mehrfamilienhauses und war für die betrieblichen Abläufe nach den Aufgaben eines Hausmeisters nicht von wesentlicher Bedeutung). Warum der Mieter in dieser Situation im Vorprozess einen Räumungsvergleich abgeschlossen hat, ist nicht nachvollziehbar, kann jetzt jedoch dahinstehen. Warum der BGH nun die Voraussetzungen des „Betriebsbedarfs“ durch einen eigenen Leitsatz hervorgehoben hat, erschließt sich nicht, weil es darauf gar nicht ankam. Das sieht auch der BGH selbst (Rn. 34) und führt aus, der Kläger könne die vorliegend erhobenen Schadensersatzansprüche deshalb zwar nicht darauf stützen, dass die Kündigung nicht gerechtfertigt gewesen sei, wohl aber darauf, dass die vom Beklagten dargelegte Bedarfssituation nicht vorgelegen habe – etwa mangels eines konkreten und ernsthaften Überlassungswunsches oder weil dem Beklagten anderweit Wohnraum zur Verfügung gestanden habe, in dem der angegebene Bedarf ohne wesentliche Abstriche hätte geltend gemacht werden können. Hat der – für die vorliegende Situation irrelevante – Leitsatz die Funktion einer „Mahnung“ an die Instanzgerichtsbarkeit, die Voraussetzungen für eine Kündigung wegen Betriebsbedarfs eindringlicher zu prüfen?

Den Wortlaut des Urteils finden Sie in GE 2017, Seite 658 und in unserer Datenbank
Autor: Klaus Schach


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